Medizinrecht

Erstattungsfähigkeit der Kosten für Gutachten in Normenkontrollverfahren

Aktenzeichen  1 M 19.1782

Datum:
18.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34546
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 162 Abs. 1, § 165

 

Leitsatz

1. Aufwendungen für nicht vom Gericht beauftragte, private Sachverständige sind wegen des im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes und des Gebots der sparsamen Prozessführung nur ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe eines selbst eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob die Voraussetzungen für die Erstattung privater Gutachten vorliegen, bestimmt sich danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Kostenfestsetzungsantrag zurückgenommen wurde. Insoweit ist der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. August 2019 wirkungslos geworden.
II. Im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsantrag unter Aufhebung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 21. August 2019 abgelehnt.
III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Erinnerungsverfahrens.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Festsetzung der Erstattung von Aufwendungen des Antragstellers für private Gutachtertätigkeiten.
Der Antragsteller hatte am 2. April 2015 Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan „… … …“, bekannt gemacht am 4. Juli 2014, erhoben (Az. 1 N 15.740). Als Nachbar trug er in diesem Verfahren unter anderem vor, dass der Bebauungsplan unwirksam sei, da von der geplanten Photovoltaikanlage unzumutbare Blendwirkungen ausgehen würden. Diese Wirkungen hat der Antragsteller auch in einem gegen die Baugenehmigung für die Photovoltaikanlage gerichteten Klageverfahren beim Verwaltungsgericht geltend gemacht. Die Anfechtungsklage wurde am 23. April 2014 erhoben und mit Urteil vom 28. Juli 2015 abgewiesen (Az. M 1 K 14.1707). Über die hiergegen zugelassene Berufung wurde bisher nicht entschieden (Az. 1 B 19.988). In beiden Verfahren bezog sich der Antragsteller auf ein von ihm in Auftrag gegebenes Privatgutachten zur Blendwirkung vom 1. November 2014. Nachdem die Antragsgegnerin im Bebauungsplanverfahren in einem ergänzenden Verfahren ein neues Gutachten zur Blendwirkung der Photovoltaikanlage eingeholt und den Bebauungsplan am 5. April 2019 erneut, rückwirkend zum 4. Juli 2014, bekannt gemacht hatte, erklärten die Parteien die Normenkontrollklage in der Hauptsache für erledigt. Durch Beschluss des Senats vom 16. Mai 2019 wurde das Verfahren eingestellt und der Antragsgegnerin die Verfahrenskosten auferlegt.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 12. Juli 2019 machte der Antragsteller die Kosten für das Gutachten des privaten Sachverständigen vom 1. November 2014 in Höhe von 26.301,10 Euro (Rechnung vom 10.12.2014) sowie die Kosten für eine Stellungnahme dieses Gutachters vom Januar 2016 zu einem Schriftsatz der Landesanwaltschaft Bayern vom 7. Dezember 2015 sowie einer weiteren Stellungnahme vom Oktober 2016 zu einem Schriftsatz des Beigeladenen vom 1. August 2016 in Höhe von 7.342,30 Euro (Rechnung vom 1.12.2016) geltend. Der Urkundsbeamte erkannte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. August 2019 die beantragten Aufwendungen in Höhe von insgesamt 33.643,40 Euro als erstattungsfähig an.
Die Antragsgegnerin beantragte am 28. August 2019 die Entscheidung des Gerichts gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21. August 2019. Der Beschluss sei aufzuheben, da die Sachverständigenkosten nicht erstattungsfähig seien. Für die Kosten des Gutachtens vom 1. November 2014 fehle es an einem hinreichenden Bezug zum Normenkontrollverfahren. Die gutachterlichen Stellungnahmen zu den gegnerischen Schriftsätzen seien ebenfalls nicht erstattungsfähig. Der Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 7. Dezember 2015 sei im Berufungszulassungsverfahren eingereicht worden. Eine gutachterliche Stellungnahme zum Schriftsatz des Beigeladenen vom 1. August 2016 sei angesichts der Pflicht zur Kostengeringhaltung nicht veranlasst gewesen.
Mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 nahm der Antragsteller zu den Einwänden Stellung. Der Kostenfestsetzungsantrag werde hinsichtlich der Kosten für die Erwiderung auf den Schriftsatz der Landesanwaltschaft vom 7. Dezember 2015 zurückgenommen. Die Kostenrechnung vom 1. Dezember 2016 werde somit nur noch in Höhe von 2.759,31 Euro geltend gemacht. Die Kosten für die Stellungnahme zum Schriftsatz des Beigeladenen seien erstattungsfähig, da der Beigeladene das Gutachten vom 1. November 2014 konkret bemängelt habe und der Antragsteller als fachlicher Laie nicht in der Lage gewesen sei, diese Fragen selbst zu beantworten. Das Gutachten vom 1. November 2014 sei zur Vorbereitung des Normenkontrollverfahrens notwendig gewesen.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten, insbesondere die Kostenfestsetzungsakte, Bezug genommen.
II.
Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2019 den Kostenfestsetzungsantrag in Höhe von 4.582,99 Euro zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO entsprechend). Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist in dieser Höhe wirkungslos geworden (§ 92 Abs. 3, § 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung). Antragsgegenstand ist damit nur noch die Kostenrechnung vom 10. Dezember 2014 für das Gutachten vom 1. November 2014 über 26.301,10 Euro sowie der auf die gutachterliche Stellungnahme zum Beigeladenenschriftsatz vom 1. August 2016 entfallende Anteil der Rechnung vom 1. Dezember 2016 in Höhe von 2.759,31 Euro.
Die vom Antragsteller geltend gemachten privaten Gutachterkosten sind nicht gemäß § 162 Abs. 1 VwGO erstattungsfähig, da sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung nicht notwendig waren.
Nach § 162 Abs. 1 VwGO zählen zu den erstattungsfähigen Kosten neben Gerichtskosten nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen. Aufwendungen für nicht vom Gericht beauftragte, private Sachverständige sind wegen des im Verwaltungsprozess geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes und des Gebots der sparsamen Prozessführung nur ausnahmsweise erstattungsfähig, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe eines selbst eingeholten Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. Die Kosten für ein solches Gutachten sind daher nur erstattungsfähig, soweit es sich mit entscheidungserheblichen und schwierigen Fachfragen befasst, zu der auch eine rechtlich beratene und vertretene Partei nicht genügend sachkundig Stellung nehmen kann. Ein privates Sachverständigengutachten muss zeitlich und sachlich eng auf die Rechtsverfolgung im Prozess bezogen sein. Außerdem ist der jeweilige Verfahrensstand zu berücksichtigen. Die Prozesssituation muss das Gutachten herausfordern und dessen Inhalt muss auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, bestimmt sich nicht nach der subjektiven Auffassung der Beteiligten, sondern danach, wie ein verständiger Beteiligter, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, in gleicher Lage seine Interessen wahrgenommen hätte. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der die Aufwendungen verursachenden Handlung; ohne Belang ist, ob sich die Handlung im Nachhinein als unnötig herausstellt (vgl. BVerwG, B.v. 6.10.2009 – 4 KSt 1009.07 u.a. – juris Rn. 34; B.v. 8.10.2008 – 4 KSt 2000.08 u.a. – juris Rn. 4; B.v. 11.4.2001 – 9 KSt 2.01 u.a. – NVwZ 2001, 919; BayVGH, B.v. 23.3.2011 – 1 M 09.2344 – juris Rn. 10; OVG NRW, B.v. 28.3.2017 – 9 E 572/16 – juris Rn. 8 ff.; VGH Baden-Württemberg, B.v. 17.2.2015 – 3 S 2432/14 – juris Rn. 11; Olbertz in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 162 Rn. 28)
1. Bei Berücksichtigung dieser Maßgaben sind die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Erstattungsfähigkeit der Kosten für das Gutachten vom 1. November 2014 nicht erfüllt.
Das Gutachten war zeitlich nicht auf eine Verfahrensförderung zugeschnitten, da die Erhebung der Normenkontrollklage (2. April 2015) im Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachtens im Juli 2014 nicht unmittelbar bevor stand. Zwar kommt grundsätzlich auch die Erstattung von Gutachtenskosten zur Vorbereitung der Klageerhebung in Betracht. Dies setzt jedoch in besonderem Maße einen engen Zusammenhang mit dem Prozess voraus (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2010 – 1 C 08.412 – juris Rn. 16). Sowohl zum Zeitpunkt der Auftragserteilung als auch bei Erstattung des Gutachtens war die Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung für die Photovoltaikanlage bereits anhängig, während selbst zwischen der Fertigstellung des Gutachtens und der Einreichung des Normenkontrollantrages noch ein Zeitraum von fünf Monaten verging. Das Gutachten wurde unmittelbar nach seiner Fertigstellung am 4. November 2014 im Klageverfahren gegen die Baugenehmigung eingereicht, zur zentralen Grundlage des dortigen Sachvortrags gemacht und vom Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 27. Januar 2015 erläutert. Diese zeitliche Abfolge spricht deshalb dafür, dass das Gutachten der Darlegung unzumutbarer Blendwirkungen im Anfechtungsprozess gegen die Baugenehmigung diente. Der Einwand des Antragstellers, es sei zur Vorbereitung der Normenkontrollklage eingeholt worden, da die Anfechtungsklage bei Auftragserteilung bereits anhängig gewesen sei, überzeugt nicht. Der Ortstermin und die Messungen des Sachverständigen für die Erstellung des Gutachtens haben am 3. Juli und 4. Juli 2014 stattgefunden. Eine erste ausführlichere Klagebegründung im Anfechtungsprozess erfolgte daraufhin am 6. August 2014, so dass erste Erkenntnisse aus dem Ortstermin bereits für diese Klagebegründung im Anfechtungsprozess verwertet werden konnten. Die Auftragserteilung nach Anhängigkeit der Anfechtungsklage spricht gerade für einen Bezug auf diesen Prozess. Demgegenüber wurde auch das fertige Gutachten zunächst nicht zum Anlass genommen, eine Normenkontrollklage zu erheben, obwohl dieser Schritt bereits in der Klagebegründung vom 6. August 2014 im Anfechtungsprozess angekündigt worden war.
Der Inhalt des Gutachtens ist sachlich nicht auf eine Förderung des Normenkontrollverfahrens zugeschnitten. Für die Begutachtung wurden die tatsächlichen Blendwirkungen der bereits errichteten Photovoltaikanlage ermittelt und Aussagen zu deren Zumutbarkeit für den Antragsteller getroffen. Inhaltlich bezieht sich das Gutachten somit auf die Auswirkungen der durch die Baugenehmigung zugelassenen Anlage in Form konkret gemessener Lichtimmissionen. Damit überprüft es nicht die mit dem Normenkontrollverfahren angefochtene, auf einer Prognose beruhende Planungsentscheidung, sondern die Anlagenzulassung. Zwar befasst sich das Gutachten auch mit dem im Bauleitplanverfahren zugrunde gelegten Gutachten der Firma … GmbH vom 12. März 2014. Das Gutachten muss aber geeignet sein, das Verfahren in einer entscheidungserheblichen Frage zu fördern. Die Richtigkeit einer Planungsentscheidung kann nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass die Immissionen einer fertiggestellten Anlage gemessen werden.
Der Verfahrensstand des Normenkontrollverfahrens hat die Erstellung des Gutachtens vom 1. November 2014 auch nicht herausgefordert. Der Antragsteller befand sich nicht in einer prozessualen Notlage, in der er zur Substantiierung seines Vorbringens wegen schwieriger Fachfragen sachverständige Hilfe benötigt hätte. Mit der Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan wurde ein Abwägungsmangel in Gestalt der fehlerhaften Berücksichtigung immissionsschutzrechtlicher Belange aufgrund der durch die Photovoltaikanlage befürchteten Blendwirkung geltend gemacht. Insbesondere hat sich der Antragsteller in seiner Antragsbegründung vom 2. April 2015 auf ein Abwägungsdefizit berufen, das infolge des fehlerhaften Gutachtens der … GmbH bestehe. Er stellte in seiner Antragsbegründung maßgeblich darauf ab, dass das Gutachten von einem unzutreffenden Immissionsort ausgehe. Dieser Einwand hat im Verlauf des Normenkontrollverfahrens dazu geführt, dass die Antragsgegnerin in einem ergänzenden Verfahren nach Einholung eines neuen Gutachtens eine erneute Abwägungsentscheidung vorgenommen und den Satzungsbeschluss vom 14. März 2019 gefasst hat, der zur Erledigung der Normenkontrollklage führte. Um die behauptete Fehlerhaftigkeit des Gutachtens zu erkennen, bedurfte es keiner sachverständigen Hilfe. Es war für den ortskundigen Antragsteller anhand des in einer Karte im Gutachten verzeichneten Immissionsortes ohne weiteres ersichtlich, dass es sich bei dem dort als Wohnhaus bezeichneten Immissionsort tatsächlich um ein deutlich von seinem Wohnhaus entferntes Nebengebäude handelte. Der Antragsteller hatte dies auch vor Beauftragung des streitgegenständlichen Gutachtens erkannt. In einer E-Mail an das Landratsamt vom 17. April 2014 erklärte er, dass das Gutachten der … GmbH falsch sei, da sich an der Stelle des als Wohnhaus bezeichneten Objekts eine Maschinenhalle befinde (Bl. 59 der Baugenehmigungsakte). Bereits im Rahmen der Klageerhebung im Anfechtungsprozess am 22. April 2014 wies er ebenfalls auf die fehlerhaften Bezugspunkte des Gutachtens hin und in der Klagebegründung der Anfechtungsklage vom 6. August 2014 führte er aus, dass die fehlerhaften Bezugspunkte auch für einen Laien sofort erkennbar seien.
2. Die Kosten für die Stellungnahme des Gutachters zu dem Schriftsatz des Beigeladenen vom 1. August 2016 sind bei Berücksichtigung der eingangs genannten Grundsätze ebenfalls nicht erstattungsfähig. Dies ergibt sich schon daraus, dass mit dieser Stellungnahme auf Einwendungen gegen das zur sachgerechten Rechtsverfolgung im Normenkontrollverfahren nicht notwendige Gutachten vom 1. November 2014 reagiert wurde. Eine auf Kostenminimierung bedachte Partei hätte zudem in der Prozesssituation keine gutachterliche Stellungnahme dieses Inhalts zur Erwiderung auf den Anwaltsschriftsatz des Beigeladenen eingeholt. Es handelte sich bei den Einwänden des Beigeladenen schon nicht um fachliche Einwendungen einer Person mit besonderer Sachkunde, denen nur mit einer qualifizierten fachlichen Stellungnahme entgegen getreten werden könnte. Ein Bedürfnis für eine fachliche Unterstützung ist daher nicht zu erkennen. Wie der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 2. November 2016, mit dem die gutachterliche Stellungnahme vorgelegt wurde, ausdrücklich feststellt, waren die Einwendungen des Beigeladenen zudem inhaltsgleich bereits im Anfechtungsprozess vorgetragen worden.
Die Entscheidung über die Kosten des Erinnerungsverfahrens beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren über die Erinnerung ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG entsprechend). Eine Streitwertfestsetzung ist deshalb nicht erforderlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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