Verwaltungsrecht

Anfechtungsklage, Versagungsgegenklage, Rücknahme der Bewilligung, Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Corona-Soforthilfe des Landes, Hessen, fehlende Förderberechtigung, Sitz des Unternehmens in Bayern, vorausgegangene Ablehnung eines Antrags auf Gewährung von Corona-Soforthilfe in Bayern, unrichtige Angaben, kein Vertrauensschutz, kein atypischer Ausnahmefall

Aktenzeichen  W 8 K 20.1561

Datum:
17.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 15310
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
VwGO § 113 Abs. 5
HVwVfG § 48
LHO § 53
GmbHG § 7
GmbHG § 4a
Richtlinie des Landes Hessen zur Durchführung eines Soforthilfeprogramms für gewerbliche Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft
Selbständige
Soloselbständige und Angehörige Freier Berufe
die infolge der Corona-Virus-Pandemie 2020 in ihrer Existenz gefährdet sind – Corona-Virus-Soforthilfeprogramm Hessen 2020

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Bei verständiger Würdigung (§ 88 VwGO) des Vorbringens der Klägerin und der gestellten Anträge ist ihr Klagebegehren dahingehend auszulegen, dass sie die Aufhebung des Rücknahmebescheides des Regierungspräsidiums Kassel vom 13. Juli 2020 begehrt, mit welchem die der Klägerin mit Bescheid vom 5. Mai 2020 gewährte Förderung in Höhe von 3.000,00 EUR nach der Richtlinie des Landes Hessen zur Durchführung eines Soforthilfsprogramms für gewerbliche Unternehmen und Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft, Selbständige, Soloselbständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Corona-Virus-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind – (Corona-Virus-Soforthilfsprogramm Hessen 2020 – im Folgenden: „Förderrichtlinien“) vom 27. März 2020 zurückgenommen und zurückgefordert wird, und zudem die Verpflichtung des Beklagten, ihr unter Aufhebung der Bescheide des Regierungspräsidiums Kassel vom 18. Mai 2020 und 13. Juli 2020 und unter Abänderung des Bescheids des Regierungspräsidiums Kassel vom 5. Mai 2020 die weitere beantragte Corona-Soforthilfe in Höhe von 27.000,00 EUR zu gewähren.
Die so verstandene Klage, über die gemäß § 102 Abs. 2 VwGO in Abwesenheit der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten verhandelt und entschieden werden konnte, ist zulässig, aber unbegründet.
Das Verwaltungsgericht Kassel hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2020 (3 K 1534/20.KS) das Verfahren an das Verwaltungsgericht Würzburg verwiesen, welches an diesen Beschluss gebunden ist, § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG entsprechend. Eine Ausnahme von der Bindungswirkung, die nur in seltenen Fällen in Betracht kommen kann (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 83 Rn. 15), ist vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere beruht die Verweisung trotz der in Literatur und Rechtsprechung zumindest teilweise vertretenen Meinung, dass sich § 52 Nr. 3 Satz 5 VwGO auch auf Satz 3 beziehe (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2020, § 52 Rn. 12 m.w.N.) und sich die örtliche Zuständigkeit hiernach nach § 52 Nr. 5 bestimmen würde, angesichts des insoweit anderslautenden Wortlauts von § 52 Nr. 3 Satz 5 VwGO nicht auf willkürlichen, sondern auf rechtlich nachvollziehbaren Erwägungen.
Der Rücknahmebescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 13. Juli 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat zudem keinen Anspruch auf die Gewährung einer (weiteren) Corona-Soforthilfe in Höhe von 27.000,00 EUR (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere war die Klageerhebung nicht verfristet.
Die Klage gegen den Rücknahmebescheid vom 13. Juli 2020 wurde am 13. August 2020 unstreitig innerhalb der einmonatigen Klagefrist erhoben, § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. §§ 187 ff. BGB.
Bei den streitgegenständlichen Bescheiden vom 5. Mai 2020 und 18. Mai 2020 ist die Rechtsbehelfsbelehrung:unterblieben, so dass nach § 58 Abs. 2 VwGO die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig ist, § 58 Abs. 2 VwGO, und damit die Klage auch insoweit nicht verfristet ist. Über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand muss vorliegend folglich nicht entschieden werden.
2. Die Klage ist unbegründet. Die Rücknahme der gewährten Corona-Soforthilfe in Höhe von 3.000,00 EUR ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im Übrigen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Auszahlung von (weiteren) 27.000,00 EUR Corona-Soforthilfe (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
2.1 Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 5. Mai 2020 ist § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 HVwVfG. Der Rücknahmebescheid ist rechtmäßig, weil die Klägerin den Bewilligungsbescheid durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, und die Kläger sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen kann.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 HVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nach Satz 2 dieser Norm nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 zurückgenommen werden.
Nach § 48 Abs. 2 HVwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach Satz 3 Nr. 2 des Absatzes 2 dieser Vorschrift nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren.
Die Rücknahme des Verwaltungsakts erfolgt in den Fällen des Satzes 3 in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit, § 48 Abs. 2 Satz 4 HVwVfG.
Voraussetzung der Rücknahme ist zunächst das Vorhandensein eines rechtswidrigen Bescheids. Der Bewilligungsbescheid vom 5. Mai 2020 ist rechtswidrig. Die Klägerin ist nicht förderberechtigt i.S.v. Punkt 2.3 der Förderrichtlinien.
Bei Billigkeitsleistungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Eine explizite Rechtsnorm, die konkret einen Anspruch der Klägerin auf Bewilligung der beantragten Soforthilfe begründet, existiert nicht. Vielmehr erfolgt die Billigkeitsleistung auf der Grundlage der einschlägigen Richtlinien im billigen Ermessen der Behörde und im Rahmen der dafür im Haushaltsplan besonders zur Verfügung gestellten Ausgabemittel (§ 53 LHO – Hessische Landeshaushaltsordnung). Ein Rechtsanspruch besteht danach nur ausnahmsweise, insbesondere aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) durch eine Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinien. Dies würde sogar dann gelten, wenn die ständige Praxis der Behörde nicht mit einzelnen Regelungen der Verwaltungsvorschriften übereinstimmt, weil diese keine verbindlichen Rechtsnormen darstellen. Die Förderrichtlinien begründen als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung (HessVGH, B.v. 4.2.2021 – 10 B 2762/20 – juris Rn. 27 f.; vgl. im Übrigen die st.Rspr. der Kammer zur Soforthilfe gemäß den Richtlinien des Freistaats Bayern für die Gewährung von Überbrückungshilfen des Bundes für die von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Soloselbständigen („Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Soloselbständige“), zuletzt B.v. 18.6.2020 – W 8 E 20.736 sowie Ue.v. 25.5.2020 – W 8 K 19.1546 und W 8 K 20.330; U.v. 13.1.2020 – W 8 K 19.364 – alle juris jeweils m.w.N. zur Rspr.).
Da Richtlinien keine Rechtsnormen sind, unterliegen sie auch grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation. Eine Überprüfung hat sich darauf zu beschränken, ob aufgrund der einschlägigen Förderrichtlinien überhaupt eine Verteilung öffentlicher Mittel vorgenommen werden kann (Vorbehalt des Gesetzes) und bejahendenfalls, ob bei Anwendung der Richtlinien in Einzelfällen, in denen die begehrte Leistung versagt worden ist, der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) verletzt oder der Rahmen, der durch die gesetzliche Zweckbestimmung gezogen ist, nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.4.1979 – 3 C 111/79 – juris).
Die Richtlinien setzen Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Hilfen und regeln insoweit die Ermessenshandhabung. Die Ermessensbindung reicht jedoch nur so weit wie die festgestellte tatsächliche ständige Verwaltungspraxis. Die gerichtliche Überprüfung erfolgt nur im Rahmen des § 114 VwGO. Das Gericht hat nicht die Befugnis zu einer eigenständigen oder gar erweiternden Auslegung der Richtlinien (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2021 – 6 ZB 21.301 – BeckRS 2021, 11002; SaarlOVG, B.v. 28.5.2018 – 2 A 480/17 – juris; OVG SH, U.v. 17.5.2018 – 3 LB 5/15 – juris; OVG NRW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris; HessVGH, U.v. 28.6.2012 – 10 A 1481/11 – juris).
Ausgangspunkt ist die ständige Verwaltungspraxis in vergleichbaren Fällen, sofern sie nicht im Einzelfall aus anderen Gründen zu rechtswidrigen Ergebnissen führt. Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle muss bleiben (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 40 Rn. 42 ff.; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO 26. Auflage 2020, § 114 Rn. 41 ff.).
So dürfen im Einzelfall keine sachlichen Gründe für das Abweichen von der Behördenpraxis bestehen. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften dürfen nur für den Regelfall gelten und müssen Spielraum für die Berücksichtigung der Besonderheiten atypischer Fälle lassen. Ein derartiger atypischer Fall ist dann gegeben, wenn der konkrete Sachverhalt außergewöhnliche Umstände aufweist, deren Besonderheiten von der ermessenslenkenden Vorschrift nicht hinreichend erfasst und von solchem Gewicht sind, dass sie eine von der im Regelfall vorgesehenen Rechtsfolge abweichende Behandlung gebieten (OVG NW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben war die Bewilligung der Soforthilfe in Höhe von 3.000,00 EUR mit Bescheid vom 5. Mai 2020 rechtswidrig.
Die Klägerin ist gemäß der ständigen Verwaltungspraxis nicht förderberechtigt im Sinne von Punkt 2.3 Abs. 3 der Förderrichtlinien des Beklagten. Hiernach muss der Hauptsitz des antragstellenden Unternehmens in Hessen sein.
Nach Nr. 37 der laut dem Regierungspräsidium Kassel für die Bearbeiter/innen der Anträge zur Gewährleistung einer einheitlichen Verwaltungspraxis entworfenen gesonderten „FAQ“ (Frequently Asked Questions) muss der Sitz eines Unternehmens in der Rechtsform einer GmbH in Hessen liegen. Dieses Verständnis lag nach Aussage der Beklagten auch der gängigen Förderpraxis zugrunde, die rechtlich nicht zu beanstanden ist.
Bei einer Gesellschaft ist zwischen dem Satzungssitz und dem Verwaltungssitz, der sich rein tatsächlich nach dem Ort, an dem sich der Schwerpunkt des körperschaftlichen Lebens befindet, bestimmt, zu unterscheiden, die nicht übereinstimmen müssen (BeckOK, GmbHG, 47. Edition, 1.2.2021, § 4a Rn. 4). Soweit in Vorschriften ohne nähere Bestimmung auf den „Sitz“ der Gesellschaft abgestellt wird, ist damit der Satzungssitz gemeint (Münchener Kommentar, GmbHG, 3. Auflage 2018, § 4a Rn. 9). Denn nach § 4a GmbHG ist Sitz der Gesellschaft der Ort im Inland, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt. Ein Gesellschaftsvertrag wurde im konkreten Fall nicht vorgelegt. Gemäß § 7 Abs. 1 GmbHG ist jedoch die Gesellschaft bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden ist. Nach dem Handelsregister ist der Sitz der GmbH in Alzenau und damit in Bayern.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus etwaigen Gleichheitserwägungen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet eine gleichmäßige Verwaltungspraxis. Dazu gehört das Verbot einer nicht durch sachliche Unterschiede gerechtfertigten Differenzierung zwischen verschiedenen Sachverhalten bei der Förderung (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 32).
Aufgrund des freiwilligen Charakters der Hilfen und dem weiten Ermessen des Gebers bei der Aufstellung von Richtlinien zur Gewährung von Hilfen, ist eine entsprechende Nachprüfung nur im Hinblick auf eine möglicherweise willkürliche Ungleichbehandlung potentieller Hilfeempfänger eröffnet, nicht aber in Form einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BVerwG, U.v. 14.3.2018 – 10 C 1/17 – juris Rn. 15 ff. m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG). Nach der Willkür-Formel des Bundesverfassungsgerichts (seit U.v. 23.10.1951 – 2 BVG 1/51 – juris) ist Willkür dann anzunehmen, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt.
Eine willkürliche Verwaltungspraxis des Beklagten lässt sich nicht feststellen. Es ist aus rechtlicher Hinsicht unter Berücksichtigung des Zwecks der Soforthilfen nach Nr. 1 der Förderrichtlinien und des dahingehend eindeutigen Wortlauts der Förderrichtlinien nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte diese in ständiger Praxis so auslegt und handhabt, dass nur Unternehmen mit Sitz in Hessen antragsberechtigt sind. Für die Annahme eines atypischen Einzelfalls, der zu einer abweichenden Betrachtung führt, gibt es bei der Klägerin trotz der in Hessen gelegenen Betriebsstätten keine Anhaltspunkte.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Förderrichtlinien des Landes Hessen für die Corona-Soforthilfe auf den – eingetragenen – Hauptsitz des Unternehmens abstellen, während die bayerischen Richtlinien für die Unterstützung der von der Coronavirus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Angehörigen Freier Berufe („Soforthilfe Corona“) nach ihrer Nr. 3 Satz 2 für die Antragsberechtigung den Sitz der Betriebs- bzw. Arbeitsstätte des Antragstellers in Bayern voraussetzen. Die Corona-Soforthilfe nach dem Landesprogramm Hessen und die Soforthilfe nach dem bayerischen Landesprogramm beruhen jeweils auf eigenen Richtlinien des jeweiligen Landes. Ob Unternehmen mit Sitz außerhalb des Bundeslandes oder mit Betriebsstätten außerhalb des Bundeslandes gefördert werden, obliegt der Entscheidungsfreiheit des jeweiligen Landes. Da die Fördermittel der jeweiligen Bundesländer grundsätzlich begrenzt sind, steht es in der Entscheidung eines jeden Landes, wie die knappen zur Verfügung stehenden Fördermittel verteilt werden.
Ein Vergleich mit den anderen Bundesländern ist im Zusammenhang mit einer Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG nicht anzustellen, da allein die Verwaltungspraxis in Hessen ohne Rücksicht auf die Praxis in anderen Bundesländern und die dortigen Hilfeleistungen maßgeblich ist (s. zur vergleichbaren Thematik der Zuwendungen OVG NW, B.v. 29.5.2017 – 4 A 516/15 – juris). Die landesrechtlichen Grundsätze zur Gewährung von Hilfen sind nur für das jeweilige Bundesland verbindlich, ohne dass es darauf ankommen kann, ob in anderen Bundesländern abweichende Hilfevoraussetzungen zur Anwendung gelangen oder in der Vergangenheit gelangt sind. Art. 3 Abs. 1 GG bindet jeden Träger öffentlicher Gewalt allein in dessen Zuständigkeitsbereich (Sachs in Stelkens/Bonk/ Sachs VwVfG, 9. Auflage 2018, § 40 Rn. 129; Aschke in BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 51. Edition, Stand 1.4.2021, § 40 Rn. 69).
Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Bewilligungsbescheid vom 5. Mai 2020 infolge der Nichtbeachtung der Voraussetzung für die Förderberechtigung nach Punkt 2.3 Abs. 3 der Förderrichtlinien und der verwaltungsinternen Regelung der Nr. 37 der FAQ wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot rechtswidrig.
Die Klägerin kann sich hinsichtlich der Rücknahme des Weiteren nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn sie hat den Verwaltungsakt durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben erwirkt, § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 HVwVfG, indem sie unter Nr. 8.1 des Antragsformulars (Bl. 2 der Behördenakte) erklärt hat, dass die in 1.1 benannten Antragsvoraussetzungen – wonach u.a. gewerbliche Unternehmen mit Hauptsitz in Hessen antragsberechtigt sind – sämtlich vorliegen. Für den Ausschluss des Vertrauensschutzes ist Verschulden keine Voraussetzung. Es ist insoweit unerheblich, ob der Betroffene die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte oder hätten kennen können und müssen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 48 Rn. 119).
Ermessenfehler hinsichtlich der Rücknahmeentscheidung sind vorliegend nicht ersichtlich. In den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 HVwVfG besteht regelmäßig eine Rücknahmepflicht nach § 48 Abs. 2 Satz 4 HVwVfG (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 48 Rn. 127b). Ein atypischer Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Zwar wurde der Antrag der Klägerin auf Corona-Soforthilfe nach dem bayerischen Soforthilfeprogramm mit der Begründung, dass die Betriebsstätten in Hessen liegen, abgelehnt. Wie oben bereits ausgeführt, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Richtlinie des Landes Hessen für die Förderberechtigung auf den Hauptsitz des Unternehmens abstellt, während die bayerischen Richtlinien für die Unterstützung der von der Coronavirus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Angehörigen Freier Berufe („Soforthilfe Corona“) nach ihrer Nr. 3 Satz 2 für die Antragsberechtigung den Sitz der Betriebs- bzw. Arbeitsstätte des Antragstellers in Bayern voraussetzen. Insbesondere beruhen die beiden Programme nicht auf einem Bundesprogramm, das einheitliche Fördervoraussetzungen vorgibt. Nach den Ausführungen des Regierungspräsidiums Kassel im Schriftsatz vom 14. Mai 2020 orientieren sich die Förderrichtlinien lediglich an den Voraussetzungen des Bundesprogramms, wie sich aus der Verwaltungsvereinbarung des Bundes und der Länder über die Soforthilfen des Bundes für die Gewährung von Überbrückungshilfen als Billigkeitsleistungen für Corona-Soforthilfen insbesondere für kleine Unternehmen und Soloselbständige vom März 2020 ergeben, wobei der konkrete Zuwendungsgeber für die streitgegenständliche Soforthilfe der Beklagte ist und nicht der Bund.
Im Rahmen der Rücknahmeentscheidung ist zudem zu berücksichtigen, dass in Nr. 7 des Bewilligungsbescheides vom 5. Mai 2020 darauf hingewiesen wurde, dass die Soforthilfe ganz oder teilweise zurückzufordern ist, wenn die für die Gewährung maßgeblichen Voraussetzungen von Beginn an nicht vorgelegen haben oder nachträglich ganz oder teilweise weggefallen sind.
Überdies erfordert der in der Landeshaushaltsordnung verankerte Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwendung öffentlicher Mittel regelmäßig die Rücknahme rechtswidriger Subventionsbescheide, damit öffentliche Mittel sparsam und effektiv verwendet werden (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1996 – BVerwG 3 C 22.96 – juris, Rn. 16; vgl. auch: Hess. VGH, U.v. 13.5.2014 – 9 A 2289/12 – juris Rn. 44), was auch bei einer Bewilligung von Corona-Soforthilfen gilt (VG Gießen, U.v. 3.12.2020 – 4 K 3429/20.G – juris Rn. 39 f.).
Die Rücknahme des Bewilligungsbescheids in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 13. Juli 2020 war damit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Festsetzung des zu erstattenden Betrags auf 3.000,00 EUR entspricht § 49a Abs. 1 Satz 2 HVwVfG und ist nicht zu beanstanden.
2.2 Mangels Vorliegens der Förderberechtigung der Klägerin kommt ein Anspruch auf die Gewährung der am 16. Mai 2020 beantragten Corona-Soforthilfe nach dem Corona-Virus-Soforthilfeprogramm Hessen 2020 von (weiteren) 27.000,00 EUR unter Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2020 nicht in Betracht. Auf die obigen Ausführungen wird in diesem Zusammenhang Bezug genommen.
3. Die Kostenentscheidung des gerichtlichen Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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