Verwaltungsrecht

Baueinstellung, Duldungsanordnung, Baumaßnahme im Außenbereich, Begründungserfordernis für die Anordnung des Sofortvollzugs, Störerauswahl, Keine offensichtliche Verfahrensfreiheit

Aktenzeichen  1 CS 21.1974, 1 CS 21.1976

Datum:
14.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 30873
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c
BayBO Art. 75 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 1 S 21.1851 2021-06-30 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 1 CS 21.1974 und 1 CS 21.1976 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
III. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Baueinstellung bzw. eine Duldungsanordnung.
Der Antragsteller zu 2 ist Eigentümer des im Außenbereich liegenden Grundstücks FlNr. … der Gemarkung G …, der Antragsteller zu 1 ist Pächter des Grundstücks. Bei einer ersten Baukontrolle im Juli 2020 ist dem Baukontrolleur von dem bei der Baukontrolle anwesenden Antragsteller zu 2 mitgeteilt worden, dass der Pächter Bauherr der baulichen Maßnahmen sei und diese privilegiert seien. Nach einer weiteren Baukontrolle im August 2020 teilte das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (nachfolgend „AELF“) mit, dass weder der Grundstückseigentümer privilegiert sei noch eine Privilegierung des Pächters gegeben sei. Am 25. und 26. August 2020 erging zunächst eine mündliche Baueinstellung gegenüber den Antragstellern. Mit Bescheid vom 26. August 2020 stellte das Landratsamt unter Anordnung des Sofortvollzugs und unter Androhung eines Zwangsgeldes von je 4.000 € die Bauarbeiten gegenüber dem Antragsteller zu 2 ein und ordnete gegenüber dem Antragsteller zu 1 die Duldung der Baueinstellung an.
Am 22. September 2020 erhoben die Antragsteller jeweils Klage. Über die Klagen, die beim Verwaltungsgericht unter den Az. M 1 K 20.4551 und M 1 K 20.4552 geführt werden, wurde bislang nicht entschieden. Am 1. April 2021 stellten die Antragsteller jeweils einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Das Verwaltungsgericht lehnte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen ab. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei noch ausreichend begründet worden. Die Erfolgsaussichten der Klagen seien offen. Der Antragsteller zu 2 als Grundstückseigentümer habe als Zustandsstörer in Anspruch genommen werden können, ein Vorrang des Antragstellers zu 1 als Handlungsstörer ergebe sich nicht zwingend, da dieser nicht ohne Auftrag bzw. ohne Wissen und Wollen des Eigentümers gehandelt habe. Es bedürfe einer Klärung im Hauptsacheverfahren, ob das Vorhaben verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO errichtet werden könne, insbesondere ob das Vorhaben einem landwirtschaftlichen Betrieb diene und ob die beabsichtigte Nutzung zur Aufbereitung von Hackschnitzeln überhaupt unter den Privilegierungstatbestand des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO falle. Eine offensichtliche Verfahrensfreiheit oder Genehmigungsfreiheit liege nicht vor. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Baueinstellungsverfügung und der Duldungsanordnung sei gegeben. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dass die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs lediglich mit formelhaften textbausteinartigen Formulierungen und nicht bezogen auf die Umstände des konkreten Falls erfolgt sei. Die Erfolgsaussichten der Klagen seien bereits deshalb nicht offen, weil der Bescheid an den falschen Adressaten gerichtet worden sei. Angesichts der im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen, insbesondere der eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen des landwirtschaftlichen Sachverständigen Dipl.-Ing. agr. K.O., bedürfe es zur Frage der formellen Illegalität des Vorhabens auch keiner weiteren Klärung in einem Hauptsacheverfahren. Die Ermessensausübung sei fehlerhaft. Bei der Begründung handle es sich offensichtlich um Textbausteine, eine Auseinandersetzung mit der hier vorliegenden Problematik der Verfahrensfreiheit bzw. der Privilegierung fehle.
Der Antragsgegner sieht die Beschwerden als unbegründet an.
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die Behördenakten verwiesen.
II.
Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung die Anordnung des Sofortvollzugs dem Begründungserfordernis ausreichend Rechnung trägt und die Erfolgsaussichten der Klagen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren offen sind. Die Auswahl des Antragstellers zu 2 als Adressat der Baueinstellungsverfügung und die Ermessensbetätigung des Antragsgegners sind nicht zu beanstanden. Die danach erforderliche Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragsteller aus.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit trägt dem Begründungserfordernis ausreichend Rechnung. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO – wie hier betreffend die Baueinstellungsverfügung und die Duldungsanordnung – das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind regelmäßig die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe anzugeben, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen. An dieses Begründungserfordernis sind jedoch inhaltlich keine allzu hohen Anforderungen zu stellen; es genügt vielmehr jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2018 – 9 CS 18.996 – juris Rn. 14; B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris Rn. 9; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 55).
Diesen Anforderungen genügt die Anordnung. Bei einer Baueinstellung, mit der sichergestellt werden soll, dass keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, die später nur schwer wieder rückgängig gemacht werden können, deckt sich das allgemeine öffentliche Interesse am Vollzug in der Regel mit dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Wirksamkeit der behördlichen Anordnung (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2005 – 25 CS 04.3341 – juris Rn. 4; OVG SH, B.v. 20.12.2017 – 1 MB 18/17 – juris Rn. 9; VGH BW, B.v. 10.2.2005 – 8 S 2834/04 – BauR 2005, 1461; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Mai 2021, Art. 75 Rn. 109). Die Anordnung führt zudem aus, dass eine Weiterführung der Bauarbeiten „unter dem Schutz der aufschiebenden Wirkung“ zur Schaffung „vollendeter Tatsachen“ führt und ihren Zweck verfehlt, weil durch die Ausnutzung der aufschiebenden Wirkung die bauliche Anlage fertiggestellt werden kann und dies ggf. nur schwer rückgängig zu machen ist. Einer weitergehenden inhaltlichen Überprüfung der von der Behörde im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angestellten Erwägungen bedarf es – auch im Hinblick auf die Duldungsanordnung, für die keine weitergehenden Anforderungen gelten – nicht.
Auch die Störerauswahl ist nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden. Der Antragsteller zu 2 wird ausweislich der Gründe des angefochtenen Bescheids als Zustandsstörer (Eigentümer) in Anspruch genommen, nachdem er auf Nachfrage anlässlich der Baukontrolle mitgeteilt hatte, dass er nicht Bauherr sei. Bei einer Auswahl zwischen mehreren Störern ist zwar in der Regel der Handlungsstörer vor dem Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen. Dies gilt aber nicht, wenn die Wirksamkeit der Maßnahme eine andere Reihenfolge gebietet (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.2018 – 1 B 16.2374 – juris Rn. 16; B.v. 28.5.2001 – 1 ZB 01.664 – juris Rn. 5). Ein Vorrang des Antragstellers zu 1 als Handlungsstörer ergibt sich im vorliegenden Fall nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht. Nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere der von beiden Antragstellern gezeichneten E-Mail an das Landratsamt vom 23. April 2020, hat der Antragsteller zu 1 als Pächter nicht ohne Wissen und Wollen des Eigentümers, sondern einvernehmlich mit diesem gehandelt. Davon gehen auch die Antragsteller, die sich zu diesem Umstand im Beschwerdeverfahren nicht explizit äußern, aus, nachdem sie im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt das gemeinsame Auftreten der Antragsteller gegenüber den Behörden bekräftigt haben. Die von den Antragstellern angeführte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 27. August 1996 (2 R 9/96) führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Entscheidung lässt sich entgegen den Ausführungen im Beschwerdebegründungsschriftsatz nicht entnehmen, dass eine Anordnung gegen den Grundstückseigentümer nur dann möglich ist, wenn eine solche bereits gegenüber dem Bauherrn ergangen ist. Vielmehr hat das Gericht Anordnungen, die sowohl gegenüber dem Bauherrn (als Handlungsstörer) als auch gegenüber der Grundstückseigentümerin (als Zustandsstörerin) erlassen worden waren, im Hinblick auf das Erfordernis des effektiven Einschreitens für zulässig erachtet (vgl. OVG Saarl, U.v. 27.8.1996 – 2 R 9/96 – juris Rn. 28 f.).
Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Erfolgsaussichten der Klagen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren offen sind. Eine offensichtliche Verfahrensfreiheit oder Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens besteht nicht. Die hier maßgebliche Frage, ob das Vorhaben einem landwirtschaftlichen Betrieb im Sinn von Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO dient, ist nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts offen und kann nach den vorliegenden Stellungnahmen des AELF und des von den Antragstellern beauftragten Gutachters im Hinblick auf die jeweils vorgetragenen Argumente nicht ohne weitere und eingehende Prüfung im Hauptsacheverfahren beantwortet werden. Weiter ist zweifelhaft, ob die vorliegende massive Bauweise eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO begründen kann (vgl. BayVGH, U.v. 11.4.2017 – 1 B 16.2509 – BayVBl 2018, 168; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.7.2015 – OVG 10 S 14.15 – juris Rn. 9). Hierfür ist es erforderlich, dass weitere Unterlagen bzw. Pläne vorgelegt werden, die eine Bewertung der konkreten Ausführung des Stadels ermöglichen. Auf die von der Beschwerde angegriffene Formulierung des Verwaltungsgerichts, es sei – jedenfalls im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes – von einer gewissen präjudiziellen Wirkung der Stellungnahmen der Fachbehörde auszugehen, kommt es nicht entscheidend an. Angesichts der gegensätzlichen Stellungnahmen der Fachbehörde und des Gutachters reicht die bloße Behauptung, die Voraussetzungen des Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO seien aufgrund der Stellungnahme des Gutachters als gegeben anzusehen, nicht.
Das Beschwerdevorbringen vermag auch keine Ermessenfehler aufzuzeigen. Nach Art. 40 BayVwVfG ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 BayBO kann und soll regelmäßig eine Baueinstellungsverfügung ergehen (sog. intendiertes oder Regelermessen; vgl. BayVGH, B.v. 26.4.2021 – 1 CS 21.449 – juris Rn. 17; B.v. 9.4.2021 – 9 ZB 20.565 – juris Rn. 8; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37 m.w.N.; Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand Mai 2021, Art. 75 Rn. 83 m.w.N.). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass keine besonderen Gründe vorliegen, die eine andere Entscheidung als die Baueinstellung rechtfertigen könnten. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens wird mit der Beschwerdebegründung nicht dargelegt. Soweit die Antragsteller rügen, dass die Begründung der Anordnung nur Textbausteine enthalte, jedoch keine Ermessenserwägungen, ist dem nicht zu folgen. Die Anordnung führt dazu – wenn auch knapp – aus, dass nur mit der Einstellung der Bauarbeiten verhindert werden könne, dass ohne ausreichende Prüfung der Vereinbarkeit der Baumaßnahme mit den materiellen öffentlich-rechtlichen Vorschriften eventuell baurechtswidrige Anlagen errichtet werden. Damit wird den Anforderungen, die an die Begründung von Ermessensentscheidungen gestellt werden und die gerade im Falle des intendierten Ermessens – wie hier – keine vertiefte Begründungspflicht erfordern, Genüge getan (vgl. BVerwG, B.v. 5.7.1985 – BVerwGE 72, 1).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht der Addition der vom Verwaltungsgericht festgesetzten Beträge.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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