Verwaltungsrecht

Erledigung der Betriebsuntersagung mangels Funktionsfähigkeit von Rufglocken wegen Schließung des Seniorenheims

Aktenzeichen  12 ZB 13.2101

Datum:
21.4.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 114417
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PfleWoqG Art. 13, Art. 15 Abs. 2 Nr. 2
BayVwVfG Art. 35 S. 1, Art. 43 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GG Art. 103 Abs. 2
KostG Art. 12

 

Leitsatz

1 Könnte die Klage auch in einem angestrebten Berufungsverfahren aufgrund der anfänglichen Unzulässigkeit ebenfalls nur als unzulässig abgewiesen werden, scheidet eine Zulassung der Berufung unabhängig von den vorgetragenen Zulassungsgründen von vornherein aus. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Erledigung eines Verwaltungsakts tritt dadurch ein, dass er sich als nicht mehr geeignet erweist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder dass die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich wegfällt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Es ist von einer Erledigung eines Verwaltungsakts in sonstiger Weise insbesondere dann auszugehen, wenn das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts entfällt, was speziell bei betriebsbezogenen Geboten der Fall ist, wenn der betroffene Betrieb nach Erlass der entsprechenden Verfügung eingestellt wird. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4 Dem Vorliegen einer bestandskräftigen heimrechtlichen Anordnung nach Art. 13 Abs. 1 oder Abs. 2 PfleWoqG kommt für die Betriebsuntersagung nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG keine Tatbestandswirkung zu. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 17 K 12.5854 2013-07-10 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin, die – als H. GmbH firmierend – bis 30. September 2011 in I. ein Seniorenheim betrieben hatte, wendet sich mit ihrer Anfechtungsklage gegen die heimrechtliche Verfügung des Beklagten vom 22. Juni 2011, mit der – betriebsbezogen – Anordnungen zu Rufanlagen in den Bewohnerzimmern des Seniorenheims bzw. in den Nasszellen der Bewohnerzimmer getroffen worden waren.
1. Nach einer Prüfung durch die Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht (FQA) – des Landratsamts T. am 31. Mai 2011, bei der hinsichtlich der in den Bewohnerzimmern vorhandenen Rufanlagen Mängel festgestellt worden waren, erließ der Beklagte am 22. Juni 2011 gegenüber der Klägerin einen Bescheid, wonach sofort jedem Bewohner eine Rufanlage zur Verfügung zu stellen sei, die vom Bett aus bedient werden könne (Ziffer 1.1), gewährleistet werden müsse, dass die Rufglocken funktionsfähig seien (Ziffer 1.2) und ferner zu gewährleisten sei, dass Rufglocken in den Nasszellen, die mit einer Zugschnur betätigt werden, von den Bewohnern auch in liegender Position erreicht werden können (Ziffer 1.3). Für den Fall, dass die genannten Pflichten nicht „mit sofortiger Vollziehung erfüllt werden“, seien Zwangsgelder zur Zahlung fällig und könnten in Höhe von jeweils 1.000 EUR je Verstoß und Bewohner eingezogen werden (Ziffer 2.). Ziffer 3. des Bescheids erlegte der Klägerin die Verfahrenskosten in Höhe von 400 EUR sowie Auslagen in Höhe von 3,45 EUR auf.
2. Gegen diesen, ihrem damaligen Bevollmächtigten am 1. Juli 2011 zugestellten Bescheid ließ die Klägerin am 1. August 2011 Widerspruch einlegen, dem das Landratsamt T. nicht abhalf und den es der Regierung von O. zur Entscheidung vorlegte. Eine Entscheidung über den Widerspruch erging in der Folge jedoch nicht.
3. Bereits mit Bescheid vom 20. Juli 2011 hatte der Beklagte der Klägerin den Betrieb des Seniorenheims in I. untersagt; er wurde daraufhin zum 30. September 2011 vollständig eingestellt. Zur Begründung nahm der Beklagte u.a. auf die festgestellten Mängel bei den Rufanlagen Bezug, die auch Gegenstand der streitgegenständlichen Anordnung vom 22. Juni 2011 waren.
4. Am 26. November 2012, mithin mehr als ein Jahr nach Einstellung des Heimbetriebs, erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 22. Juni 2011 Klage zum Verwaltungsgericht München. In der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2013 hob der Beklagte zunächst Ziffer 2. des Bescheids vom 22. Juni 2011 – die Zwangsgeldandrohung – auf, woraufhin die Klägerin den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärte, der Beklagte der Erledigungserklärung zustimmte und die Bereitschaft zur Kostenübernahme erklärte. Mit Urteil vom 10. Juli 2013 (Az. M 17 K 12.5854) wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und erlegte der Klägerin 4/5, dem Beklagten 1/5 der Kosten auf. Es hielt die Klage auch angesichts der späteren Betriebsuntersagung und Einstellung des Heimbetriebs für zulässig, jedoch für materiell unbegründet. Die Kostenentscheidung zulasten des Beklagten fußte auf der abgegebenen Erledigungserklärung.
5. Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung, mit dem sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend macht. Der Beklagte beantragt die Ablehnung des Zulassungsantrags.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO beschränkt ist, nicht vorliegen oder nicht hinreichend dargelegt sind.
1. Soweit das Verwaltungsgericht die gegen die Verfügungen unter Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 gerichtete Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen hat, erweist sich die streitbefangene Entscheidung, unabhängig von den geltend gemachten Zulassungsgründen nach § 124 Abs. 2 VwGO, bereits deshalb als im Ergebnis richtig (vgl. hierzu Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 98, 101, 102a), weil sich die genannten Anordnungen betreffend die Erreichbarkeit bzw. Funktionsfähigkeit von Rufglocken in den Bewohnerzimmern bereits vor Klageerhebung durch die Heimschließung zum 30. September 2011 erledigt haben, die Klägerin gleichwohl trotz Wegfall ihres Rechtsschutzinteresses anstelle einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Anfechtungsklage (in Form der Untätigkeitsklage im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO) erhoben hat. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war die Klage mithin bereits bei ihrer Erhebung unzulässig. Könnte die Klage daher auch in einem angestrebten Berufungsverfahren aufgrund der anfänglichen Unzulässigkeit ebenfalls nur als unzulässig abgewiesen werden, scheidet eine Zulassung der Berufung unabhängig von den vorgetragenen Zulassungsgründen von vornherein aus (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Vorb. § 124 Rn. 32; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 98, 101, 102a; Frey in Gärditz, VwGO, 2013, Vorb. § 124 Rn. 72; BayVGH, B.v. 26.3.2003 – 8 ZB 02.2918 – NVwZ 2004, 629). Überdies steht auch der Rechtsgedanke von § 144 Abs. 4 VwGO analog der Zulassung der Berufung entgegen.
1.1 Vorliegend haben sich vor Klageerhebung die streitbefangenen Verfügungen betreffend die Rufglocken in den Zimmern der Heimbewohner in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 durch die Einstellung des Heimbetriebs zum 30. September 2011 erledigt. Zwar bleibt nach Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG ein Verwaltungsakt grundsätzlich wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Diese Regelung steht im inneren Zusammenhang mit der in Art. 35 Satz 1 BayVwVfG normierten Regelungsfunktion des Verwaltungsakts (vgl. hierzu und zum Folgenden BVerwG, U.v. 19.4.2011 – 1 C 2.11 – BVerwGE 139, 337 Rn. 14 m.w.N.). Indem Art. 35 Satz 1 BayVwVfG festlegt, dass ein Verwaltungsakt auf eine bestimmte Rechtswirkung „gerichtet“ ist, betont er die Finalität des Verwaltungshandelns in dieser Handlungsform. Demgegenüber erfasst Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG spiegelbildlich die Fälle, in denen die dem Verwaltungsakt ursprünglich zukommende steuernde Funktion des Verwaltungshandelns nachträglich entfällt. Dies kann beim Wirksamkeitsverlust „auf andere Weise“ der Fall sein, wenn eine geänderte Sach- und Rechtslage selbst zur Beendigung der Rechtswirkung führt. Die Erledigung eines Verwaltungsakts tritt folglich dadurch ein, dass er sich als nicht mehr geeignet erweist, rechtliche Wirkungen zu erzeugen oder dass die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, nachträglich wegfällt (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 7 C 5.08 – NVwZ 2009, 122 Rn. 13).
Angesichts dessen ist von einer Erledigung eines Verwaltungsakts in sonstiger Weise insbesondere dann auszugehen, wenn das Regelungsobjekt des Verwaltungsakts entfällt, was speziell bei betriebsbezogenen Geboten der Fall ist, wenn der betroffene Betrieb nach Erlass der entsprechenden Verfügung eingestellt wird (vgl. hierzu und zum Folgenden Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 43 Rn. 209 ff.; Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG 17. Aufl. 2016, § 43 Rn. 41 ff.; Leisner-Egensperger in Mann/Sennekamp/Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2014, § 43 Rn. 66 f.; Schemmer in BeckOK-VwVfG, Stand 1.1.2017, § 43 Rn. 51; BVerwG, U.v. 9.5.2012 – 6 C 3.11 – NVwZ 2012, 1547 ff. Rn. 19 ff.; U.v. 17.8.2011 – 6 C 9.10 – BVerwGE 140, 221 Rn. 43; U.v. 15.11.1990 – 3 C 49.87 – NVwZ 1991, 570, 571). Auf andere Weise erledigt sich ein Verwaltungsakt ferner auch, wenn eine inhaltliche Überholung eintritt (vgl. hierzu Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 78; BVerwG, U.v. 9.5.2012 – 6 C 3.11 – NVwZ 2012, 1547 Rn. 21).
Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich der – ausschließlich betriebsbezogenen – Verfügungen unter Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 sowohl das Regelungsobjekt nachträglich weggefallen als auch eine inhaltliche Überholung eingetreten. Denn mit der vollständigen Schließung des Seniorenheims in I zum 30. September 2011 bestand für betriebsbezogene Anordnungen, die dem Schutz der Heimbewohner und der Sicherstellung der Qualität der Pflege dienen sollen, kein Anwendungsbereich mehr, jedenfalls dann, wenn eine Wiederaufnahme des Betriebs im Zeitpunkt der tatsächlichen Heimschließung nicht absehbar war, es sich bei der Betriebsuntersagung folglich nicht lediglich um eine kurzfristige Betriebsunterbrechung sondern vielmehr um eine endgültige Betriebseinstellung gehandelt hat. Die steuernde Wirkung der entsprechenden Anordnungen ist mit der Aufgabe des Heimbetriebs endgültig entfallen. Wenn die Klägerin mehr als vier Jahre nach der Heimschließung nunmehr unter geänderter Firma und unter neuem Namen ab 15. Oktober 2015 im gleichen Gebäude erneut ein Seniorenpflegeheim eröffnet hat, kommt eine Fortwirkung der betriebsbezogenen Anordnungen unter Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 nicht in Betracht (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 12 ZB 12.1640 juris Rn. 17 ff. für die Erledigung der „Statusfeststellung“ einer Pflegeeinrichtung durch Schließung und Verlegung sämtlicher Pflegebedürftiger). Vielmehr greift insoweit eine vollständige, mit dem vorliegenden Verfahren nicht in Zusammenhang stehende Neubewertung Platz.
Des Weiteren ist auch von der inhaltlichen Überholung der getroffenen Regelungen auszugehen, da sie ihre beabsichtigte Regelungswirkung, nämlich sicherzustellen, dass Heimbewohner in Notfällen das Pflegepersonal alarmieren können, ab dem Zeitpunkt der Betriebsschließung nicht mehr entfalten können. Mithin bestand für eine Aufhebung der Verfügungen in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 im Wege der Anfechtungsklage bereits ab dem Zeitpunkt der Heimschließung am 30. September 2011 infolge des Erledigungseintritts kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (vgl. zur Möglichkeit der Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage unten 1.3).
1.2 Soweit das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, eine Erledigung sei „auch deshalb nicht eingetreten, weil mit Verstößen gegen die streitgegenständlichen Anordnungen nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (PfleWoqG) hilfsweise die spätere Untersagung des Heimbetriebs begründet wurde“ (Entscheidungsumdruck S. 9), geht dies fehl. Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG stellt die Untersagung des Betriebs einer stationären Einrichtung u.a. in den Fällen in das Ermessen der zuständigen Behörde, in welchen der Träger der stationären Einrichtung „Anordnungen nach Art. 13 Abs. 1 und 2 nicht innerhalb der gesetzlichen Frist befolgt“. Anknüpfungspunkt der Betriebsuntersagung bildet dabei der Pflichtenverstoß des Heimträgers, der angesichts des Erfordernisses der effizienten Gefahrenabwehr das Vorliegen einer bestandskräftigen heimrechtlichen Anordnung nach Art. 13 Abs. 1 oder Abs. 2 PfleWoqG nicht voraussetzt. Mithin kommt dem Vorliegen einer bestandskräftigen heimrechtlichen Anordnung nach Art. 13 Abs. 1 oder Abs. 2 PfleWoqG für die Betriebsuntersagung nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG keine Tatbestandswirkung zu. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der heimrechtlichen Anordnung ist für die Beurteilung des Pflichtenverstoßes nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG damit auch nicht vorgreiflich. Vielmehr ist das Bestehen eines Pflichtenverstoßes im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle einer auf Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG gestützten Betriebsuntersagung eigenständig zu überprüfen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts greifen die Rechtswirkungen der Verfügungen aus Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 daher nicht über den Zeitpunkt der Einstellung des Heimbetriebs zum 30. September 2011 hinaus. Der Annahme der Erledigung der streitgegenständlichen Verfügungen steht folglich nicht entgegen, dass der Beklagte sie – im Übrigen lediglich hilfsweise – zum Anknüpfungspunkt für eine Betriebsuntersagung nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 PfleWoqG gemacht hat.
1.3 Hat sich daher – wie im vorliegenden Fall – der die Klägerin belastende Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt, fehlt ihr für eine Anfechtungsklage das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Sie hätte in diesem Fall jedoch die Möglichkeit besessen, anstelle der Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Wege einer – gegebenenfalls auch hilfsweise erhobenen – Fortsetzungsfeststellungsklage die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsakts feststellen zu lassen (vgl. zur Möglichkeit der Erhebung einer Fortsetzungsfeststellungsklage bei Erledigungseintritt vor Klageerhebung Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 72 ff.), sofern sie über das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung verfügt hätte. Indes hat die Klägerin weder im Klageschriftsatz vom 22. November 2012 noch im Zuge der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2013 ausdrücklich oder konkludent einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt. Die erhobene Anfechtungsklage war daher bereits bei Klageerhebung unzulässig (vgl. hierzu Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 66 f.). Nachdem die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage auch im Berufungszulassungsverfahren durch den Senat von Amts wegen zu prüfen sind, scheidet bei einer bereits unzulässigen Klageerhebung die Zulassung der Berufung von vornherein aus (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 78a a.E.; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, Vorb. § 124 Rn. 29, 32; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124 Rn. 98, 101, 102a; Frey in Gärditz, VwGO, 2013, Vorb. § 124 Rn. 72; BayVGH, B.v. 26.3.2003 – 8 ZB 02.2918 – NVwZ 2004, 629). Eine Bindung des Berufungsgerichts an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts besteht im Hinblick auf die Zulässigkeit der Klage nicht.
1.4 In der, von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichenden Bewertung der Erledigung der Verfügungen in Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 durch den Senat liegt auch ohne Ergehen eines richterlichen Hinweises keine Überraschungsentscheidung, mithin kein Verstoß gegen die Garantie rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 108 Abs. 2 VwGO (vgl. hierzu und zum Folgenden Schmidt in Eyermann, VwGO 14. Aufl. 2014, § 108 Rn. 24). Eine sog. Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerfG, B.v. 29.5.1991 – 1 BvR 1383/90 – BVerfGE 84, 188 LS; B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133, LS 1, BVerwG, B.v. 2.3.2010 – 6 B 72.09 – NVwZ 2010, 845 Rn. 14). Das Gericht ist im Allgemeinen auch nicht verpflichtet, seine Rechtsauffassung den Verfahrensbeteiligten zu offenbaren (BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133, 145 Rn. 36). Ein entsprechender Hinweis ist nur dann geboten, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretbaren Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Prozessverlauf mit der rechtlichen Einschätzung des Sachverhalts durch das Gericht nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, B.v.14.10.2010 – 2 BvR 409/09 – juris Rn. 20).
Bei der anwaltlich vertretenen Klägerin ist Letzteres nicht der Fall. Wie sich den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils entnehmen lässt (Entscheidungsumdruck S. 9), war die Problematik der Erledigung der streitgegenständlichen Verfügungen unter Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 Gegenstand der richterlichen Entscheidungsfindung erster Instanz. Die Klägerin musste daher bereits nach dem damaligen Prozessverlauf und unter Berücksichtigung der vorstehend zitierten Rechtsprechung zur Erledigung betriebsbezogener Anordnungen bei Betriebsstilllegung damit rechnen, dass der Senat die Erledigungsfrage anders als das Verwaltungsgericht beurteilt. Eine Überraschungsentscheidung liegt mithin nicht vor.
Im Übrigen ist bei der vorliegenden Fallkonstellation ein richterlicher Hinweis auch deswegen entbehrlich, weil der Klägerin die Möglichkeit gefehlt hätte, prozessual im Berufungszulassungsverfahren auf die bereits vor Klageerhebung eingetretene Erledigung durch Umstellung des Klageantrags zu reagieren (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 78a aE), sich der richterliche Hinweis folglich als eine reine Formalie erweisen würde.
2. Keine Erledigung ist vorliegend indes hinsichtlich der Kostenentscheidung in Ziffer 3. des Bescheids vom 22. Juni 2011 eingetreten (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung VG Augsburg, U.v. 16.6.2015 – Au 3 K 14.1138 – juris Rn. 59 ff.). Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Klage, die sich nicht auf die Verfügungen unter Ziffer 1. des Bescheids vom 22. Juni 2011 beschränkt hatte, jedenfalls konkludent abgewiesen. Indes hat die Klägerin bezogen auf die Kostenentscheidung nach Art. 12 KostG keine Zulassungsgründe vorgetragen, sodass auch hinsichtlich dieses Verfahrensteils die Zulassung der Berufung abzulehnen ist.
3. Die Klägerin trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des erfolglosen Zulassungsantrags. Der Streitwert bestimmt sich für das Zulassungsverfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts München nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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