Verwaltungsrecht

Polizeiliche Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Falle von Upskirting

Aktenzeichen  10 CS 21.2126

Datum:
4.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41318
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayPAG Art. 11a Abs. 2 Nr. 3, Art. 14 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

Nach Art. 11a Abs. 2 Nr. 3 PAG, wonach die sexuelle Selbstbestimmung ein bedeutendes Rechtsgut ist, soweit sie durch Straftatbestände geschützt ist, die im Mindestmaß mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, kann das im Falle des sogenannten Upskirting durch die Strafnorm des § 184k Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung nicht mehr als hinreichender Bezugspunkt für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG dienen und eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach diesem Befugnistatbestand rechtfertigen.  (Rn. 32 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 15 S 20.2781 2021-07-15 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Unter Abänderung von Nr. I. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Juli 2021 wird in Bezug auf die Nrn. 1 und 4 des Bescheides der Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte vom 9. Dezember 2020 die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt, in Bezug auf die Nr. 5 angeordnet; in Bezug auf die Nr. 2 wird sie wiederhergestellt, soweit die Vorladung betroffen ist, und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung angeordnet.
II. Unter Abänderung von Nr. II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Juli 2021 trägt der Antragsgegner die Kosten beider Rechtszüge.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen vor dem Verwaltungsgericht erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Dezember 2020 weiter, mit dem dieser ihm gegenüber − gestützt auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG − erkennungsdienstliche Maßnahmen sowie begleitende Verfügungen angeordnet hat.
Am 14. September 2019 wurde der Antragsteller dabei beobachtet, wie er mit einer Minikamera, die er an dem in Kniehöhe gehaltenen Rucksack befestigt hatte, einer Frau (im Folgenden: der Geschädigten) unter das Kleid filmte. Dies sowie das in der Folge sichergestellte Bild- und Videomaterial hatten zur Folge, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beleidigung nach § 185 StGB in insgesamt 22 gleichgelagerten Fällen eingeleitet wurde.
Mit Bescheid vom 27. November 2019 ordnete die Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte − gestützt auf § 81b Alt. 2 StPO − gegenüber dem Antragsteller die erkennungsdienstliche Behandlung an.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 17. Dezember 2019 vor dem Verwaltungsgericht Klage und stellte Eilantrag (AN 15 K 19.02541 u. AN 15 S 19.02540).
Mit Verfügung vom 17. Februar 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller nach § 170 Abs. 2 StPO ein, da die heimlichen Bildaufnahmen mangels einer Kundgabe der Missachtung gegenüber dem jeweiligen Opfer nicht den Tatbestand der Beleidigung des § 185 StGB erfüllen würden. Daraufhin nahm die Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte am 21. Mai 2020 den Bescheid vom 27. November 2019 zurück. Mit Beschluss vom 15. Juni 2020 stellte auch das Verwaltungsgericht aufgrund einvernehmlicher Erledigterklärungen der Beteiligten die vorgenannten verwaltungsgerichtlichen Verfahren ein (AN 15 K 19.02541 u. AN 15 S 19.02540), wobei es dem Antragsgegner die Kosten der Verfahren auferlegte.
Mit Bußgeldbescheid vom 29. Juni 2020 setzte die Stadt Nürnberg gegenüber dem Antragsteller allerdings wegen grob ungehöriger Handlung gemäß § 118 OWiG (Belästigung der Allgemeinheit) eine Geldbuße in Höhe von 325, – Euro fest. Der Bußgeldbescheid erwuchs in Bestandskraft.
Mit streitbefangenem Bescheid vom 9. Dezember 2020 ordnete die Polizeiinspektion Nürnberg-Mitte sodann gegenüber dem Antragsteller − gestützt auf Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG die erkennungsdienstliche Behandlung an (Nr. 1), lud ihn mit Frist zum 23. Dezember 2020 hierzu vor und drohte für den Fall des Nichterscheinens ein Zwangsgeld in Höhe von 250, … Euro an unter Festsetzung einer Zahlungsfrist von zwei Monaten ab dem Tag der nicht befolgten Vorladung (Nr. 2), benannte die Kontoverbindung der Staatsoberkasse Bayern für die Überweisung des fällig gewordenen Zwangsgeldes (Nr. 3), ordnete für den Fall des Nichterscheinens innerhalb der unter Nr. 2 angeführten Frist eine erneute Vorladung mit Frist zum 7. Januar 2021 an (Nr. 4), drohte für den Fall des erneuten Nichterscheinens ohne hinreichenden Grund die Anwendung unmittelbaren Zwangs an (Nr. 5) und ordnete schließlich die sofortige Vollziehung der Nrn. 1, 2 und 4 an (Nr. 6).
Hiergegen hat der Antragsteller am 17. Dezember 2020 Anfechtungsklage erhoben sowie zugleich der Sache nach beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen.
Mit Wirkung zum 1. Januar 2021 trat § 184k StGB (Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen) in Kraft (vgl. 59. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Persönlichkeitsschutzes bei Bildaufnahmen v. 9.10.2020, BGBl. 2020 I S. 2075 ). Zu den unter Strafe gestellten Tathandlungen gehört nach § 184k Abs. 1 Nr. 1 StGB auch das unbefugte absichtliche oder wissentliche Herstellen von Bildaufnahmen von den Genitalien, dem Gesäß, der weiblichen Brust oder der diese Körperteile bedeckenden Unterwäsche einer anderen Person, soweit diese Bereiche gegen Anblick geschützt sind.
Mit angegriffenem Beschluss vom 15. Juli 2021 hat das Verwaltungsgericht den Eilantrag des Antragstellers abgelehnt. Zur Begründung führt es – unter anderem − an, dass der Antragsgegner mit dem streitbefangenen Bescheid vom 9. Dezember 2020 nach dem objektiven Empfängerhorizont entsprechend §§ 133, 157 BGB eine eigenständige Regelung getroffen und nicht nur die Rechtsgrundlage des zurückgenommenen Bescheids ausgetauscht habe, weil dieser ausdrücklich allein auf die Rechtsgrundlage des Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG gestützt sei, sich dessen Gründe auf die Abwehr möglicher weiterer durch den Antragsteller verursachter Gefahren beziehen würden und der Antragsteller aufgrund des Schriftverkehrs auch von einem eigenständigen Bescheid habe ausgehen können. Im Übrigen seien die Anforderungen des Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG im vorliegenden Fall auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite erfüllt. Insbesondere betreffe die drohende Gefahr auch ein bedeutendes Rechtsgut, namentlich das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung nach Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 PAG, auf den sich Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG beziehe.
Mit Wirkung zum 1. August 2021 hob der bayerische Gesetzgeber Art. 11 Abs. 3 PAG auf, der den Katalog bedeutender Rechtsgüter enthielt (im Folgenden: a.F.). Statt des bisherigen Art. 11 Abs. 3 PAG a.F. trat mit Wirkung zum selben Zeitpunkt Art. 11a Abs. 2 PAG mit einem modifizierten Katalog bedeutender Rechtsgüter in Kraft (vgl. Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften v. 23.7.2021, GVBl. 2021 S. 418 ).
Mit Schriftsatz vom 5. August 2021 hat der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Beschwerde erhoben der Sache nach mit dem Antrag,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 15. Juli 2021, zugestellt am 30. Juli 2021, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 9. Dezember 2020 wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen Folgendes vor: Mit dem streitbefangenen Bescheid vom 9. Dezember 2020 habe dieselbe Dienststelle aus demselben Anlass faktisch − abgesehen von der Rechtsgrundlage – erneut denselben gleichlautenden Bescheid wie den zurückgenommenen Bescheid vom 27. November 2019 erlassen. Der Antragsgegner behaupte immer noch, das unbemerkte Filmen unter dem Rock könne eine Straftat darstellen. Dies sei bezogen auf den Tatzeitpunkt im September 2019 jedoch falsch. Die vorgeworfene Handlungsweise des Antragstellers sei, ob er sie nun begangen habe oder nicht, grundsätzlich überhaupt nicht strafbar. Zum damaligen Zeitpunkt sei ein Strafverfahren anhängig gewesen, der Antragsgegner habe den ursprünglichen Bescheid auf § 81b Alt. 2 StPO gestützt, dieser sei rechtswidrig gewesen und folgerichtig zurückgenommen worden. Der Austausch der Rechtsgrundlage mache den Bescheid rechtswidrig. Im Übrigen fehle es an einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut.
Mit Schreiben vom 16. September 2021 hat der Antragsgegner hierauf erwidert und beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf seinen erstinstanzlichen Vortrag, den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts sowie die beigefügte Stellungnahme des Polizeipräsidiums Mittelfranken.
Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die dargelegten Gründe, auf die der Senat seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen eine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
a) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen oder anordnen, wenn die Klage – wie hier aufgrund der Anordnung des Sofortvollzugs oder nach Art. 21a Satz 1 VwZVG − keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, überwiegen, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung beziehungsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen.
b) Gemessen an diesen Anforderungen ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Nr. 1 des streitbefangenen Bescheides angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung angezeigt, weil die Anfechtungsklage des Antragstellers voraussichtlich Erfolg haben wird.
aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit beziehungsweise Notwendigkeit einer noch nicht vollzogenen Anordnung erkennungsdienstlicher Behandlung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG ist im Beschwerdeverfahren der Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. Senftl in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, PAG, Art. 14 Rn. 25 m.w.N.; vgl. für die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 81b 2. Alt. StPO: BayVGH, U.v. 12.11.2013 – 10 B 12.2078 – juris Rn. 20 m.w.N.).
bb) Nicht durchdringen kann der Antragsteller allerdings mit dem Einwand, die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung sei rechtswidrig, weil der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 9. Dezember 2020 erneut denselben gleichlautenden Bescheid wie vom 27. November 2019 erlassen habe, indem es lediglich die Rechtsgrundlage ausgetauscht habe.
Die Antragsteller blendet hierbei aus, dass sich die Bescheide inhaltlich maßgeblich unterscheiden. Dies gilt insbesondere − worauf die Antragsgegnerseite zutreffend hingewiesen hat (vgl. Senatsakte, Bl. 53) − für die Sachverhaltsdarstellung, bei welcher der Antragsgegner die nach Erlass des Bescheides vom 27. November 2019 eingetretenen Ereignisse berücksichtigt und die tatsächlichen Grundlagen für die anschließende rechtliche Würdigung festgestellt hat.
Dass der Antragsgegner eine eigenständige Regelung gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG getroffen hat, ergibt sich zudem aus den Ausführungen des Antragsgegners in dem streitbefangenen Bescheid hinsichtlich der Prognose einer drohenden Gefahr durch zukünftiges Verhalten des Antragstellers und hinsichtlich deren – zum damaligen Zeitpunkt geltender − rechtlicher Einordnung. Dies geht zum einen aus den im Vergleich zu dem Bescheid vom 27. November 2019 modifizierten Passagen hervor (vgl. Bescheid v. 9.12.2020, S. 2: „Weitere ähnlich gelagerte Taten“ anstatt „Straftaten“, S. 3: „begangenen Handlungen“ anstatt „Straftaten“, S. 4: „nochmals in gleicher oder ähnlicher Weise in Erscheinung treten“ anstatt „strafrechtlich“ sowie „dadurch von weiteren Taten abhalten lassen“ anstatt „Straftaten“, S. 4: „Taten“ anstatt Straftaten u. S. 5: „fehlende Einsicht bzgl. Ihres Handelns anstatt „strafrechtlichen Handelns“ u. „ordnungswidrigen Auftretens“ anstatt „strafrechtlichen“- Unterstreichungen d. Senats).
Besonders deutlich wird dies zum anderen durch die neu eingefügten Passagen in dem streitbefangenen Bescheid, welche den Fokus auf die Gefahrenabwehr in Form der Verhinderung zukünftigen Tuns des Antragstellers legen (vgl. Bescheid v. 9.12.2020, S. 3: „so dass er gar nicht erst dazu ansetzt“ u. „Bei Vorliegen von Unterlagen, mit denen Sie identifiziert werden können, ist daher damit zu rechnen, dass sie künftig aufgrund des Entdeckungsrisikos von derartigen Taten absehen werden“ u. S. 4: „Da Sie Kenntnis von der polizeilichen Verfügbarkeit Ihrer erkennungsdienstlichen Unterlagen haben, ist damit zu rechnen, dass Sie sich dadurch von weiteren Taten abhalten lassen“).
Dabei entfaltet auch § 81b Alt. 2 StPO, die für den zurückgenommenen Bescheid vom 27. November 2019 herangezogene Rechtsgrundlage, wegen vorrangiger Anwendbarkeit zu Zwecken der Strafverfolgungsvorsorge keine Sperrwirkung, wie die Antragstellerseite der Sache nach nahelegt. Denn diese Sperre wirkt nur, solange der Betroffene Beschuldigter eines Strafverfahrens ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2004 – 24 B 03.695 – juris Rn. 14). Dies war im Zeitpunkt des Erlasses des streitbefangenen Bescheides jedoch nicht mehr der Fall, weil der Antragsteller zuvor mit der Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO seine Beschuldigteneigenschaft verloren hatte (s.o.).
Nicht zum Erfolg führt insofern auch der Einwand der Antragstellerseite, der Antragsgegner habe zu Unrecht Upskirting zum Tatzeitpunkt als Straftat angesehen, wobei Upskirting auch weiterhin keine Straftat darstelle. Die Antragstellerseite suggeriert insoweit unzutreffend, der Antragsgegner habe sich bei Erlass des streitbefangenen Bescheides der Ermächtigungsgrundlage des Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 PAG bedient. Dies ist, wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat (vgl. BA S. 9 f.), nicht der Fall (s.o.).
Insgesamt geht aus dem streitbefangenen Bescheid nach dem objektiven Empfängerhorizont im Sinne von §§ 133, 157 BGB mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass der Antragsgegner hiermit eine eigene Regelung zur Gefahrenabwehr beziehungsweise Gefahrenvorsorge gemäß Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG getroffen hat.
cc) Allerdings haben sich im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung erkennungsdienstlicher Maßnahmen nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG geändert (s.o.), diese sind zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (s.o.) bei summarischer Prüfung nicht erfüllt, so dass die in Nr. 1 des streitbefangenen Bescheides angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme voraussichtlich rechtswidrig ist.
Ungeachtet der Stichhaltigkeit der von Antragstellerseite vorgetragenen Einwände gegen die Annahme einer drohenden Gefahr als solcher und gegen die Reichweite des Schutzguts der sexuellen Selbstbestimmung ist festzustellen, dass mit der Aufhebung des Art. 11 Abs. 3 Nr. 2 PAG a.F. und dem Inkrafttreten des Art. 11a Abs. 2 Nr. 3 PAG, auf den sich Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG bezieht, die Annahme einer drohenden Gefahr speziell für ein bedeutendes Rechtsgut nicht mehr gerechtfertigt ist, weil das nunmehr erforderliche qualifizierte Rechtsgut für die Anordnung einer erkennungsdienstlichen Maßnahme nicht vorliegt.
So bestimmt Art. 11a Abs. 2 Nr. 3 PAG, dass die sexuelle Selbstbestimmung ein bedeutendes Rechtsgut ist, soweit sie durch Straftatbestände geschützt ist, die im Mindestmaß mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind. Der hier in der Sache einschlägige § 184k Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt die dort aufgeführten Tathandlungen der Verletzung des Intimbereichs durch Bildaufnahmen unter Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder unter Geldstrafe. Der Straftatbestand ist folglich nicht im Mindestmaß mit wenigstens drei Monaten Freiheitsstrafe bedroht. Das durch die Strafnorm des § 184k Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung kann daher mehr nicht als hinreichender Bezugspunkt für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Nr. 4 PAG dienen und eine erkennungsdienstliche Maßnahme nach diesem Befugnistatbestand erforderlich machen. Aus genannten Gründen ist die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die in Nr. 1 des streitbefangenen Bescheides angeordnete erkennungsdienstliche Maßnahme wiederherzustellen.
c) Mangels eines rechtmäßigen und – soweit erforderlich − vollziehbaren Grundverwaltungsaktes ist die aufschiebende Wirkung auch in Bezug auf die begleitenden Verfügungen in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang wiederherzustellen beziehungsweise anzuordnen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Unterliegen bestimmt sich nach dem abschließenden Prozesserfolg, ein Obsiegen in vorangehender Instanz – wie hier − ist gleichgültig (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 154 Rn. 3). Unterliegt ein Beteiligter, weil sich die Rechtslage erst während des Verfahrens zu seinen Lasten geändert hat, berührt dies nicht dessen Kostentragungspflicht. Dies ist auch nicht unbillig, da der Beteiligte die Möglichkeit hat, nach der Rechtsänderung – und im Fall des Staates nach der Aufhebung des streitbefangenen Verwaltungsaktes − den Rechtsstreit für erledigt zu erklären, um so auf eine Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO anstelle von § 154 Abs. 1 VwGO hinzuwirken (vgl. Hug in Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 154 Rn. 1a).
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nrn. 35.5. und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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