Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Gewährung von Prozesskostenhilfe, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Aufschiebende Wirkung, Subsidiärer Schutz, Asylantragstellung, Prozeßkostenhilfeverfahren, Flüchtlingseigenschaft, Offensichtlich unbegründet, Illegale Ausreise, Vorläufiger Rechtsschutz, Persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse, Eilverfahren, Abschiebungsandrohung, Asylanerkennung, Offensichtlichkeitsurteil, Prüfung der Erfolgsaussicht, Hauptsacheklage, Veränderte Umstände, Sach- und Rechtslage

Aktenzeichen  M 7 S7 21.30273

Datum:
15.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4894
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7 S. 2
AsylG § 30
AsylG § 36

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 17. Dezember 2020 (Az. M 7 S 20.30513) wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (Az. M 7 K 20.30512) gegen die in Nr. 5 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 11. Februar 2020 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Antragstellerin (Klägern) wird für das Verfahren erster Instanz vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts … … bewilligt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt erneut vorläufigen Rechtsschutz in Bezug auf einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem ihr Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung in den Herkunftsstaat Myanmar angedroht wurde.
Die am … in Y. geborene Antragstellerin ist Staatsangehörige Myanmars. Sie reiste am 9. Juni 2019 zusammen mit ihrem Ehemann mit einem Touristenvisum auf dem Luftweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. August 2019 beim Bundesamt einen Asylantrag.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2020, in seiner Nr. 5 geändert durch Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 2. März 2020, lehnte das Bundesamt sowohl den Antrag auf Asylanerkennung (Nr. 2) als auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) als offensichtlich unbegründet ab. Ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt (Nr. 3). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4). Die Antragstellerin wurde zur Ausreise innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgefordert, die Abschiebung nach Myanmar oder einen anderen aufnahmebereiten oder zur ihrer Rücknahme verpflichteten Staat wurde bei nicht fristgerechter Ausreise angedroht. (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Die Antragstellerin habe ihre begründete Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Der Sachvortrag der Antragstellerin wirke nicht nur in sich unplausibel, sondern könne auch durch die vorliegenden Visumsunterlagen eindeutig widerlegt werden. Daher sei auch subsidiärer Schutz abzulehnen. Abschiebungsverbote würden ebenfalls nicht vorliegen.
Der Asylantrag werde zudem als offensichtlich unbegründet abgelehnt, da sich das Vorbringen der Antragstellerin nicht nur als nicht substantiiert erweise, sondern auch offenkundig nicht den Tatsachen entspreche. Es sei bemerkenswert, wie durchgängig die Antragstellerin längst bewiesene Tatsachen leugne, und hierbei immer weniger plausiblere Angaben vorbringe. Die Antragstellerin mache eine Verfolgungsgeschichte geltend, die logisch nicht nachvollziehbar sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Bevollmächtigte der Antragstellerin am … Februar 2020 eine noch anhängige Klage (M 7 K 20.30512) und stellte zudem einen ergänzenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, welcher mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 17. Dezember 2020 (Az. M 7 S 20.30513) abgelehnt wurde.
Am … Februar 2021 beantragte die Antragstellerin vertreten durch ihren Bevollmächtigten,
1. unter Aufhebung des Beschlusses im Verfahren M 7 S 20.30513 vom 17.12.2020 die aufschiebende Wirkung der erhobenen Hauptsacheklage gem. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO anzuordnen;
2. der Antragstellerin Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung zu gewähren und ihr den Unterzeichnenden als Rechtsanwalt beizuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen, dass in Myanmar am 1. Februar 2021 zehn Jahre nach Ende der Militärdiktatur die Arme die Macht durch einen Putsch wieder an sich gerissen habe. Die zivile Führung des Landes sei entmachtet und der Notstand ausgerufen worden. Auf den Straßen Naypyidaws und Ranguns würden Soldaten patrollieren. Die festgesetzte De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi habe zu Protesten aufgerufen. Alle Flughäfen des Landes seien geschlossen worden. Aufgrund der vorliegenden massiven Verschlechterung der humanitären Bedingungen in Myanmar sei dem Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage stattzugeben. Mit Schriftsatz vom … Februar 2021 wurde ergänzend ausgeführt, dass sich die aktuelle Situation in Myanmar erneut verschlechtert habe. Es sei zu unzähligen Razzien mitten in der Nacht, weiteren Abschaltungen des Internets und Massenverhaftungen gekommen. Am 12. Februar 2021 sei die Freilassung von tausenden Häftlingen angeordnet worden, weshalb die Gesellschaft neue Gewalt und Kriminalität fürchte. Für potentielle Rückkehrer, welche im Ausland Asyl beantragt hätten, habe sich die Situation durch die Vorkommnisse verschlechtert. Die Militärregierung habe weiter die Gesetze stark verschärft; jegliche gegen diese zu interpretierende Handlung aus dem In- oder Ausland werde nunmehr schwer bestraft.
Das Bundesamt stellte keinen Antrag, teilte aber mit Schriftsatz vom 4. März 2021 mit, dass nach seinen Erkenntnissen die Arme am 1. Februar 2021 einen einjährigen Ausnahmezustand ausgerufen habe. Die neue Führung habe zeitweise eine vorübergehende Sperre des Internets verhängt und alle Banken des Landes schließen lassen. Infolgedessen sei es zu Protestbewegungen im ganzen Land mit hunderttausenden Teilnehmenden unterschiedlicher Gesellschaftsschichten gekommen. Die Polizei gehe seither zunehmend mit Gewalt gegen die Demonstrierenden vor; bisher seien mindestens 22 Todesopfer zu verzeichnen. Weitere Erkenntnisse insbesondere hinsichtlich der Frage, ob Rückkehrern aus dem Ausland auch im Falle einer Asylantragstellung asylrechtlich relevante Gefahren drohen würden, würden dem Bundesamt bislang nicht vorliegen. Man halte daher an der im Bescheid geäußerten Rechtsauffassung fest, eine Aussetzung des Vollzuges gemäß § 80 Abs. 4 VwGO erfolge nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Beschluss vom 17. Dezember 2020, M 7 S 20.30513, sowie auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren, im Eil- und im Klageverfahren M 7 S 20.30513/M 7 K 20.30512 und in den Gerichtsverfahren betreffend den Ehemann der Antragstellerin (M 7 K 20.30516, M 7 S 20.30517, M 7 S7 21.30271) sowie auf die vorgelegten Behördenakten betreffend die Antragstellerin und ihren Ehemann.
II.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO hat Erfolg (dazu 1.), zugleich war der Antragstellerin auch Prozesskostenhilfe zu gewähren (dazu 2.).
1. Der Beschluss vom 17. Dezember 2020 (M 7 S 20.30513) war wegen veränderter Umstände zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. Februar 2020 (M 7 K 20.30512) anzuordnen.
Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist daher allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2011 – 8 VR 2/11 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Im Fall von Art. 16a GG, § 36 Abs. 4 AsylG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz auch zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht besteht – wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht – und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – BVerfGE 67, 43 ff.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i.S.v. Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.).
Gemäß § 30 Abs. 1 AsylG ist ein Asylantrag (im materiell-rechtlichen Sinn) offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, d.h. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG oder subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen, und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung sich die Abweisung geradezu aufdrängt. Dies lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf der jeweiligen Beurteilung im Einzelfall (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 27.2.1990 – 2 BvR 186/89 – juris Rn. 14).
Die vom Bundesverfassungsgericht zur Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet entwickelten Kriterien sind auf die Offensichtlichkeitsprüfung, die im Rahmen des Eilverfahrens vorzunehmen ist, übertragbar. Hiernach hat das Verwaltungsgericht aufgrund einer eigenständigen Beurteilung insbesondere zu prüfen, ob das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamts auch weiterhin Bestand haben kann. Das Verwaltungsgericht darf sich dabei nicht mit einer bloßen Prognose zur voraussichtlichen Richtigkeit des Offensichtlichkeitsurteils begnügen, sondern muss die Frage der Offensichtlichkeit – will es sie bejahen – erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren klären und insoweit über eine lediglich summarische Prüfung hinausgehen. Dabei muss das Verwaltungsgericht überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (vgl. BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 unter Hinweis auf B.v. 1.12.1993 – 2 BvR 1506/93 – juris, Rn. 13; B.v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris, Rn. 20). Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Asylgrundrecht, sondern auch für Verfahren, die auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG), auf die Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG) oder auf die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG) gerichtet sind (vgl. BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 20).
Vorliegend bestehen im Hinblick auf den Anfang Februar 2021 erfolgten Militärputsch in Myanmar Anhaltspunkte für eine mögliche Rechtswidrigkeit der ablehnenden Entscheidung des Bundesamts, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht hinreichend verlässlich ausgeräumt werden können und weiterer Aufklärung im Rahmen des Hauptsacheverfahrens bedürfen, sodass demzufolge eine abschließende Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts im Rahmen des Eilverfahrens zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG). So ist insbesondere noch weiter aufklärungsbedürftig, welche Folgen der langfristige Auslandsaufenthalt der Antragstellerin nach sich ziehen könnte und ob die Antragstellerin aufgrund der erfolgten Asylantragstellung im Falle einer Rückkehr bzw. Abschiebung mit Repressalien zu rechnen hätte.
Am 1. Februar 2021 wurden in Myanmar landesweit hochrangige Mitglieder der Zivilregierung und der Zivilgesellschaft durch das Militär festgenommen. Das Militär hat die Macht übernommen und einen 1-jährigen Ausnahmezustand angeordnet. Telefon- und Internetverbindungen waren mehrfach unterbrochen. Es kommt derzeit regelmäßig zu weiteren Störungen. Auch weiterhin kommt es in Yangon, Mandalay und in vielen weiteren Orten zu Demonstrationen, denen die Sicherheitskräfte zunehmend mit Gewalt begegnen und die zu erheblichen Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens führen. Eine Bewegung des zivilen Ungehorsams erhält großen Zuspruch. Hierdurch kommt es zu erheblichen Belastungen u.a. des gesamten öffentlichen Dienstes, des Banken- und Transportwesens sowie der medizinischen Versorgung. Der internationale Flughafen in Rangun (Yangon) ist für humanitäre Flüge sowie für Frachtflüge geöffnet (vgl. Auswärtiges Amt, Myanmar, Reise- und Sicherheitshinweise, Stand 9.3.2021, abgerufen unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/myanmar-node/myanmarsicherheit/212100#content_0).
Laut aktuellen Presseberichten spitzt sich die Gewalt in Myanmar weiter zu. Spiegel Online berichtet etwa am 15. März 2021 (https://www.spiegel.de/politik/ausland/myanmar-erneut-zahlreiche-tote-bei-protesten-gegen-militaerherrschaft-a-da8c9c32-43de-49fb-a000-6a333e9fb65d), Myanmar habe am Sonntag, 14. März 2021 einen der bislang blutigsten Tage seit dem Militärputsch im Februar erlebt. Bei Protesten gegen die Militärherrschaft seien mindestens 18 Menschen von Sicherheitskräften getötet worden. Das gehe aus Augenzeugen- und Medienberichten hervor. Lokale Hilfsorganisationen würden von bis zu 38 Toten sprechen. Am stärksten betroffen sei Yangon, wo das Militär in mindestens einem Bezirk das Kriegsrecht verhängt und das Feuer auf Demonstranten eröffnet habe. Zwei Tote soll es in anderen Städten gegeben haben, dem Staatsfernsehen zufolge sei auch ein Polizist gestorben. Laut tagesschau.de (https://www.tagesschau.de/ausland/myanmar-447.html, Stand 15.3.2021) wachse in Indien die Sorge vor einer Flüchtlingswelle aus Myanmar. Einen großen Zustrom von Flüchtlingen habe es offenbar noch nicht gegeben, aber Dutzende Sicherheitskräfte aus Myanmar seien nach Indien geflohen, weil sie es ablehnt hätten, den Schießbefehl auf Zivilisten zu befolgen. Ein ehemaliger Polizist habe geäußert, dass es doch die Aufgabe der Polizei sei, das Volk zu schützen, nicht auf das Volk zu schießen. Schon den ganzen Februar habe es Proteste und Demonstrationen gegen den Militärputsch gegeben, aber Ende Februar hätte die Polizei laut seiner Aussage die Proteste gewaltsam auflösen sollen. Die Vorgesetzten hätten den Befehl gegeben, notfalls auf die Demonstranten zu schießen. Die Vereinten Nationen hätten die Gewalt gegen Demonstranten in Myanmar aufs Schärfste verurteilt und internationale Unterstützung für die protestierende Bevölkerung angemahnt. Die Militärjunta verhafte jeden Tag Dutzende, manchmal Hunderte Menschen, habe der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Thomas Andrews, Ende vergangener Woche beklagt. Seit Anfang Februar sind seien bereits mehr als 2.000 Menschen inhaftiert worden. Die Gewalt gegen Demonstranten, auch gegen friedliche, nehme ständig zu. Die Militärführung des Landes sei verantwortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, einschließlich Tötungen, Folter und Inhaftierungen, unter Verstoß gegen alle Regeln internationalen Rechts.
Soweit das Bundesamt in Fällen wie dem vorliegenden bzw. allgemein (gerichtsbekannt) ausführt, es bestehe (auch) keine beachtliche Wahrscheinlichkeit staatlicher Verfolgung allein wegen einer Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland, da ihm keine Erkenntnisse darüber vorliegen würden, dass abgelehnte Asylbewerber bei der Rückkehr allein wegen der Asylantragstellung mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, ist dies angesichts der geänderten politischen Lage nicht mehr als hinreichend aussagekräftig anzusehen.
Das Bundesamt führt hierzu regelmäßig aus, dass Verhaftung bei Rückkehr aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylbewerbern aus Deutschland nicht bekannt seien. Auch die Erwägungen des UNHCR (UNHCR-Schreiben vom 21.12.2012 an das VG Ansbach) seien nicht geeignet, konkrete Anhaltspunkte für eine – pauschal alle Rückkehrer betreffende – Rückkehrgefährdung anzunehmen. Dem Länderbericht des australischen Außenministeriums DFAT vom April 2019 sei zu entnehmen, dass in den Jahren 2017 und 2018 nur wenige freiwillige Rückkehrer über internationale Flughäfen nach Myanmar eingereist seien, es habe jedoch keine Berichte über die Befragung oder negative Behandlung von Rückkehrern durch Regierungsbeamte nach ihrer Rückkehr nach Myanmar erhalten. Rückkehrer nach Myanmar, die das Land illegal verlassen hätten, würden technisch zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt, weil sie illegal eine Grenze überschritten hätten.
Hieraus folgt, dass aktuelle Erkenntnisse über die Behandlung von Rückkehrern nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens und einem längeren Auslandsaufenthalt – wie hier – nicht vorliegen. Ferner stellt sich auch die Frage, wie verlässlich die bisherigen Aussagen sind, um hieraus begründet schlussfolgern zu können, dass den Betroffenen diesbezüglich nicht hinreichend wahrscheinlich Repressalien drohen. Zudem bezieht sich die Aussage in dem Länderbericht des australischen Außenministeriums DFAT vom April 2019 nur auf (wenige) freiwillige Rückkehrer und nicht auf abgeschobene Rückkehrer.
Nach bisheriger Rechtsprechung wurde angenommen, dass bei einer Rückkehr nach Myanmar Maßnahmen im Sinne des § 3 AsylG auch aufgrund illegaler Ausreise und der Asylantragstellung drohten (vgl. z.B. VG München, U.v. 7.3.2016 – M 17 K 16.30010 – juris Rn. 27; VG Ansbach, U.v.23.1.2013 – AN 9 K 11.30458). Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln könne die illegale Ausreise aus Myanmar mit einer mehrjährigen Haftstrafe geahndet werden. Eine Anpassung der Gesetze nach dem Regierungswechsel sei bisher offenbar nicht erfolgt. Zwar habe nach Angaben des Auswärtigen Amtes die Beantragung von Asyl in Deutschland allein keine Repressalien zur Folge. Dies sei allerdings anders zu beurteilen, wenn weitere Umstände, wie z.B. die Begehung einer Straftat nach myanmarischem Recht, hinzuträten. Eine solche Straftat könne aber gerade die illegale Ausreise aus Myanmar und/oder (Wieder-)Einreise nach einem illegalen Auslandsaufenthalt sein. Auch in Folge der aktuellen politischen Entwicklung sei insoweit keine andere Beurteilung angezeigt. Zwar habe sich die menschenrechtliche Situation in letzter Zeit etwas verbessert, jedoch bleibe Myanmar von einem Rechtsstaat noch weit entfernt und es seien weiterhin Fälle von Behördenwillkür weit verbreitet (vgl. VG München, U.v. 7.3.2016 – M 17 K 16.30010 – juris Rn. 27 m.a.N.).
Das Verwaltungsgericht Ansbach führte in seinem Urteil vom 23. Januar 2013 (AN 9 K 11.30458 – abrufbar unter https://www.asyl.net/rsdb/m20702/) aus, es gelte insoweit zunächst die allgemeine Situation in Myanmar zu berücksichtigen. In Myanmar herrsche ein sehr repressives System, das seit 1962 durch das Militär bestimmt werde. Schon die friedliche Meinungsäußerung könne zu Freiheitsstrafen führen, es gebe keine unabhängige Justiz und politische Verfahren fänden typischerweise nicht öffentlich statt. Die Haftbedingungen für politische Gefangene seien sehr hart. Medizinische Hilfe werde ihnen oft nicht oder nur verzögert gewährt. Sicherheitskräfte nähmen willkürlich Personen fest und führten harte Verhörpraktiken durch. Es komme zu Folter und extralegalen Tötungen durch die Sicherheitskräfte. Die myanmarischen Behörden unterhielten einen Staatssicherheitsdienst, der mutmaßliche regimekritische Aktivitäten unter Zuhilfenahme eines personalintensiven Überwachungsapparates und des Einsatzes moderner technischer Mittel beobachte. Es sei davon auszugehen, dass die Asylantragstellung durch die Behörden in Myanmar grundsätzlich als eine regimefeindliche Handlung gewertet werde (UNHCR, Schreiben vom 2.11.2007 an das VG Karlsruhe; VG Freiburg vom 17.6.2010 Az. A 6 K 314/10). Nach Auskunft des UNHCR a.a.O. drohe Personen aus Myanmar, die im Ausland einen Asylantrag gestellt hätten, allein deswegen bei ihrer Rückkehr nach Myanmar Strafverfolgung oder politische Verfolgung. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes habe zwar die Beantragung von Asyl in Deutschland allein keine Auswirkungen auf das persönliche Wohlergehen bei Rückkehr nach Myanmar, dies sei allerdings anders zur beurteilen, wenn weitere Umstände wie z.B. die Begehung einer Straftat nach myanmarischem Recht hinzuträten. Eine solche Straftat könne die illegale Ausreise aus Myanmar und/oder (Wieder-) Einreise nach einem illegalen Auslandsaufenthalt sein (vgl. Auswärtiges Amt, Schreiben vom 11.7.2012 an das VG Ansbach). Für den Fall der illegalen Einreise drohe eine Strafe nach section 13 (1) des Immigration Act von 1947. Diese Strafe für illegale Einreise, die auch die Einreise ohne gültigen Pass erfasse, betrage mindestens sechs Monate und höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe und/oder eine Geldstrafe (vgl. Amnesty International, Schreiben vom 30.8.2012 an das VG Ansbach; UNHCR, Schreiben vom 21.12.2012 an das VG Ansbach). Personen, die ohne gültigen Pass nach Myanmar zurückkehrten und beispielsweise nur über ein Identitätszertifikat verfügten, würden bei der Ankunft durch die Einreisebehörden einer Befragung unterzogen, was auch die Verbringung in ein Befragungszentrum nach sich ziehen könne, wo Praktiken wie Schlaf- und Nahrungsentzug zur Anwendung kommen könnten. Die Rückkehr ohne gültigen Pass beinhalte das Risiko eines Gefängnisaufenthaltes (Home Office, UK Border Agency, Operational Guidance Note Burma (Myanmar), Juli 2012, S. 37 f.). Sofern die Behörden Kenntnis davon erlangten, dass die ohne gültigen Pass zurückkehrende Person einen Asylantrag gestellt habe, der abgelehnt worden sei, sei davon auszugehen, dass dies einen signifikanten Effekt auf die Länge der Gefängnisstrafe für die illegale Einreise habe (Home Office, UK Border Agency, Operational Guidance Note Burma (Myanmar), Juli 2012, S. 39). Vor diesem Hintergrund ergebe sich aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles, dass den Klägerinnen im Falle einer Rückkehr Maßnahmen i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG drohten, auch wenn sie selbst wohl unpolitisch seien. Es könne offen bleiben, ob man bereits in Übereinstimmung mit der Auskunft des UNHCR (2.11.2007 an das VG Karlsruhe) davon ausgehe, dass allein die Asylantragstellung In Deutschland eine drohende politische Verfolgung in Myanmar mit sich ziehe. In diesem Zusammenhang sei auf den Fall des aus der Schweiz abgeschobenen … zu verweisen, der nach seiner Rückkehr wegen seiner Asylantragstellung zu 19 Jahren Haft verurteilt worden sei. Es erscheine zweifelhaft, hierin ohne nähere Darlegung der Zahl abgeschobener Asylbewerber und einer beispielsweise durch das Auswärtige Amt dokumentierten Überwachung der diesen zuteilwerdenden Behandlung durch den myanmarischen Staat nur einen Ausnahmefall zu sehen. Hiergegen sprächen schon die durch Willkür geprägten Verhältnisse in Myanmar (vgl. hierzu VG Freiburg vom 17.6.2010, Az. A 8 K 314/10). Jedenfalls kämen bei den Klägerinnen weitere Umstände hinzu, die dazu führten, dass eine Gefährdung i.S.d. § 60 Abs. 1 AufenthG zu bejahen sei.
Dass die Straftat der illegalen Ausreise nach myanmarischen Recht, die hinzutreten müsste und zu staatlicher Verfolgung führen könnte, bei der hier betroffenen Antragstellerin ausgeschlossen sei, da sie als Staatsbürgerin Myanmars ihr Heimatland legal mit Reisepass und Visum über den internationalen Flughafen Rangun verlassen habe, und hieraus der Schluss gezogen wird, dass nicht mit staatlichen Repressionen zu rechnen sei, wie das Bundesamt in solchen Konstellationen regelmäßig ausführt, ist jedenfalls nunmehr als zweifelhaft anzusehen. Auch insoweit sind aktuell die geänderten politischen Verhältnisse zu berücksichtigen, bei denen damit zu rechnen ist, dass es verstärkt zu (auch) willkürlichem Behörden- bzw. Militärverhalten kommen wird.
Daher war der Beschluss vom 17. Dezember 2020 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO anzuordnen. Gerichtskosten werden insoweit nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
2. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war stattzugeben, weil die Erfolgsaussichten der Klage zumindest offen sind (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen im Verfahren zur Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs (BayVGH, B. v. 24. Februar 2017 – 10 C 16.2086 – juris). Denn die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung in dem dafür vorgesehenen Verfahren zugeführt werden können. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (st.Rspr., vgl. etwa BVerfG, B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10). Umgekehrt genügt eine nur entfernte bzw. theoretische Wahrscheinlichkeit des Erfolgs nicht. Wie oben (1.) dargestellt, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage infolge der veränderten Umstände (Militärputsch) im Zeitpunkt der Bewilligungsreife offen.
Die Antragstellerin (Klägerin) hat zudem durch ihre Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht, dass sie die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.
Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht ebenfalls kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben