Baurecht

Nachbarklage gegen Bauvorhaben wegen fehlender Befreiung vom Mindestgrenzabstand

Aktenzeichen  9 CS 20.2172

Datum:
17.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38227
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7, § 80a Abs. 3, § 146 Abs. 4
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 23
BayBO § 6 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Festsetzungen im Bebauungsplan zu den überbaubaren Grundstücksflächen sind nur dann drittschützend, wenn sie nach dem Willen des Plangebers (auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollen. Günstige Auswirkungen auf Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes nicht aus. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sieht der Bebauungsplan ausdrücklich eine hälftige Verteilung der Mindestgrenzabstände auf die Nachbargrundstücke vor, begründet er eine gleichmäßige Lastenverteilung zwischen den Grundstücksnachbarn in Form eines Austauschverhältnisses. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei nachbarschützenden Festsetzungen führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 S 20.1100 2020-09-08 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 8. September 2020 wird in Nr. I. und II. aufgehoben und der Antrag der Beigeladenen vom 17. August 2020 auf Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 23. Dezember 2019 wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beigeladenen als Gesamtschuldner und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte mit Ausnahme ihrer außergerichtlichen Kosten, die sie jeweils selbst tragen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die den Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage.
Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung A* … Das Baugrundstück liegt nordöstlich in ansteigendem Gelände zum Grundstück FlNr. … Gemarkung A* … der Antragsteller. Sämtliche Grundstücke befinden sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 3/16 der Antragsgegnerin aus dem Jahr 1987, der ein reines Wohngebiet festsetzt und u.a. Festsetzungen zu Mindestgrenzabständen, der Zahl der Vollgeschosse und der Traufhöhe trifft.
Auf Antrag der Beigeladenen vom 20. November 2018 erteilte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 6. März 2019 diesen die Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage auf dem Baugrundstück. Zudem wurden Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3/16 hinsichtlich der Traufhöhe auf der Nordwest-Seite, an der südlichen Gebäudeecke, an der Südwest-Seite und an der Nordost-Seite sowie vom seitlichen und rückwärtigen Mindestgrenzabstand im südöstlichen Bereich erteilt.
Hiergegen erhoben die Antragsteller mit Schriftsatz vom 8. April 2019 Klage (W 4 K 19.365). Auf ihren Antrag vom 20. November 2019 (W 4 S 19.1534) hin ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 23. Dezember 2019 die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die genehmigten Bauvorlagen unbestimmt seien, weil nicht erkennbar sei, inwieweit durch die vorgesehene Aufschüttung auf dem Grundstück der Beigeladenen und die Errichtung der Pool- und Terrassenanlage die Einhaltung des Abstandsflächenrechts gewährleistet sei. Die hiergegen von den Beigeladenen erhobene Beschwerde (9 CS 20.160) wurde zurückgenommen.
Mit Schriftsatz vom 9. März 2020 reichten die Beigeladenen geänderte Planunterlagen ein, die mit Tekturbescheid der Antragsgegnerin vom 2. April 2020 genehmigt wurden. Dabei wurden die in der Baugenehmigung vom 6. März 2019 erteilten Befreiungen zum Mindestgrenzabstand des Bebauungsplans Nr. 3/16 neu gefasst und zu FlNr. … Gemarkung A* … im Süden, zu FlNr. … Gemarkung A* … im Norden und zu FlNr. … Gemarkung A* … im Nordosten hin erteilt. Die Beigeladenen erhoben hiergegen Klage (W 4 K 20.587), über die noch nicht entschieden ist; die Klage gegen den Bescheid vom 6. März 2019 wurde übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Abänderungsantrag der Beigeladenen vom 7. April 2020 wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 8. Juni 2020 (W 4 S 20.512) abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Bauunterlagen und Pläne zahlreiche Widersprüchlichkeiten aufwiesen, die es nicht ermöglichten, insbesondere die exakte Höhe des Pools und damit der einzuhaltenden Abstandsflächen zweifelsfrei zu ermitteln.
Am 14. Juli 2020 führte das Verwaltungsgericht einen Augenscheinstermin durch. Die Beigeladenen reichten mit Unterlagen vom 17. Juli 2020 geänderte Planunterlagen bei der Antragsgegnerin ein, die diese mit Tekturbescheid vom 10. August 2020 genehmigte. Mit Schriftsatz vom 10. September 2020 bezogen die Antragsteller den zweiten Tekturbescheid in ihre Klage mit ein.
Auf den erneuten Abänderungsantrag der Beigeladenen vom 17. August 2020 hin, änderte das Verwaltungsgericht den Beschluss vom 23. Dezember 2019 mit Beschluss vom 8. September 2020 ab und lehnte den Antrag der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Baugenehmigung vom 6. März 2019 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 10. August 2020 ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Baugenehmigung in der Fassung der Tektur vom 10. August 2020 nicht mehr in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt sei. Auf die nicht erteilte Befreiung der Festsetzungen zu den Mindestgrenzabständen durch die Poolanlage und die Terrasse könnten sich die Antragsteller nicht berufen, weil einerseits erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Festsetzungen in Bezug auf eine abweichende Abstandsflächenregelung bestünden, andererseits keine drittschützende Wirkung bestehe, weil die Festsetzungen aus städtebaulichen Gründen erfolgt seien. Die gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften seien eingehalten und das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt.
Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Die Planunterlagen seien nach wie vor unbestimmt, wiesen Widersprüchlichkeiten auf und notwendige Befreiungen seien nicht vollumfänglich erteilt worden. Insbesondere sei keine Befreiung vom Mindestgrenzabstand zu ihrem Grundstück hin erteilt worden, obwohl der Hochpool und die Terrasse bis auf 3,16 m an ihr Grundstück heranreichten. Die Festsetzung zu den seitlichen Grenzabständen entfalte auch nachbarschützende Wirkung, weil hierdurch die Abstandsflächen ersetzt werden sollten. Außerdem verstoße das Bauvorhaben gegen die Festsetzungen zur Zahl der Vollgeschosse und der Traufhöhe. Durch die Vielzahl der notwendigen Befreiungen würden die Grundzüge der Planung und das Rücksichtnahmegebot verletzt. Durch die Höhe des Bauvorhabens und die Errichtung des Hochpools komme es zu einseitigen Einsichtnahmemöglichkeiten, die nicht allein durch die Hanglage bedingt seien, sondern durch Aufschüttungen und eine hohe Bauausführung verschärft würden. Die Hochpoolanlage habe aufgrund der Bauausführung eine erdrückende Wirkung; den Aufschüttungen am Pool käme eine gebäudeähnliche Wirkung zu.
Die Antragsteller beantragen,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 8. September 2020, den Änderungsantrag der Beigeladenen abzulehnen.
Die Antragsgegnerin hat sich im Abänderungsverfahren und im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladenen beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie sind der Ansicht, die Planunterlagen und Bauvorlagen seien in der Fassung der 2. Tektur nicht mehr unbestimmt. Sämtliche fehlenden und ursprünglich gerügten Vermessungen der Geländehöhen und Abstandsflächen seien von einem unabhängigen Vermessungsbüro aufgenommen und bestimmt worden. Die Pläne ergänzten die ursprünglichen Bauvorlagen. Die Befreiungen zu den Mindestgrenzabständen begründeten sich aus der Lage im Hang und der Positionierung des Baugrundstücks zwischen zwei geforderten Mindestgrenzabständen. Der Mindestabstand von 3 m nach den Abstandsflächenvorschriften werde eingehalten. Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung seien nicht drittschützend. Das Bauvorhaben sei auch nicht rücksichtslos, wovon sich das Verwaltungsgericht im Rahmen eines Augenscheintermins überzeugt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der verschiedenen Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
Der Senat hält es aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit für sachgerecht, die Beteiligten – abweichend von der Bezeichnung im angefochtenen Beschluss – mit der Stellung im Verfahren zu bezeichnen, die sie im Ausgangsverfahren hatten (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2012 – 1 CS 12.2118 – juris Rn. 6 m.w.N.; a.A. BVerwG, B.v. 7.1.2016 – 4 VR 3.15 – juris Rn. 4). Der im Änderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO unterschiedlichen Interessenlage der Beteiligten gegenüber dem Ausgangsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann durch das Prozessrecht auch ohne Änderung der Bezeichnung der Beteiligten Rechnung getragen werden (vgl. Külpmann, jurisPR-BVerwG 6/2016 Anm. 4; BayVGH, B.v. 18.7.2016 – 9 CS 16.885 – juris Rn. 13).
Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen die Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat dem Änderungsantrag der Beigeladenen nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO zu Unrecht stattgegeben, weil die Klage der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nach summarischer Prüfung auch unter Berücksichtigung der erfolgten Änderungen des Baugenehmigungsbescheids vom 6. März 2019 in Gestalt der Tekturgenehmigungen vom 2. April 2020 und vom 10. August 2020 voraussichtlich Erfolg haben wird. Das Vollzugsinteresse der Beigeladenen an der geänderten Baugenehmigung gegenüber dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bleibt daher nachrangig. Durch die Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 8. September 2020 kommt die mit Beschluss vom 23. Dezember 2019 erfolgte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid vom 6. März 2019 – nunmehr in der Gestalt der angefochtenen Tekturgenehmigungen vom 2. April 2020 und vom 10. August 2020 – wieder zum Tragen.
1. Zwar spricht vieles dafür, dass die Baugenehmigung vom 6. März 2019 in Gestalt der Tekturen vom 2. April 2020 und 10. August 2020 nicht mehr in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt ist, weil die vom Verwaltungsgericht beanstandeten Aspekte durch die erfolgte Höhenvermessung und die ergänzten Maßangaben in den Tekturplänen nunmehr nachvollziehbar sind und die Abstandsflächenvorschriften eingehalten sein dürften. Widersprüchliche Angaben ergeben sich unter Zugrundelegung des jeweils detailgenaueren Plans mit dem größten Maßstab nicht (mehr).
Soweit die Antragsteller darauf abstellen, dass Befreiungen nicht vollständig erteilt wurden, ergibt sich allein hieraus keine Unbestimmtheit. Maßgebend ist insoweit allein, ob die Befreiung von drittschützenden oder nicht drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt wurde. Dies gilt auch, wenn an sich notwendige Befreiungen nicht erteilt wurden (vgl. BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595 – juris Rn. 22).
2. Die Baugenehmigung vom 6. März 2019 in Gestalt der Tekturgenehmigungen vom 2. April 2020 und 10. August 2020 dürfte jedoch objektiv rechtswidrig sein und die Antragsteller in ihren Rechten verletzen, weil keine Befreiung vom Mindestgrenzabstand zum Grundstück der Antragsteller hin erteilt wurde und vieles dafür spricht, dass die Festsetzung der Mindestgrenzabstände im Bebauungsplan Nr. 3/16 der Antragsgegnerin drittschützende Wirkung entfaltet.
Der Bebauungsplan Nr. 3/16 der Antragsgegnerin enthält Festsetzungen zu seitlichen und rückwärtigen Mindestgrenzabständen jeweils zu den im Plangebiet verlaufenden Straßen mit unterschiedlichen Abständen in den festgesetzten Bereichen. Anders als das Verwaltungsgericht ausführt, dürfte es sich insoweit nicht um Erweiterungen der Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 BayBO handeln, weil nach dem zum Zeitpunkt des Satzungserlasses 1987 geltenden Art. 7 Abs. 1 BayBO a.F. die Abstandsflächenvorschriften unberührt geblieben sind, wenn nicht ausdrücklich abweichende Abstandsflächenregelungen getroffen wurden (vgl. BayVGH, U.v. 31.7.2020 – 15 B 19.832 – juris Rn. 21 und U.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551 – juris Rn. 24). Dies ist hier der Fall; die Antragsgegnerin hat im Bebauungsplan Nr. 3/16 Abstandsflächenvorschriften an keiner Stelle erwähnt und dementsprechend auch nicht ausdrücklich insoweit abweichende Festsetzungen oder Regelungen getroffen; Art. 6 Abs. 5 BayBO in der heute gelteden Fassung ist insoweit nicht einschlägig. Die Festsetzungen von Mindestgrenzabständen ergänzen vielmehr die zu den Straßen hin textlich und zeichnerisch festgesetzten Baugrenzen nach § 23 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 BauNVO dahingehend, dass textlich weitere Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 23 BauNVO) in Form von Mindestgrenzabständen nicht nur zu den Straßen, sondern auch im seitlichen und rückwärtigen Bereich festgesetzt wurden.
Zwar sind Festsetzungen zu den überbaubaren Grundstücksflächen (§ 23 BauNVO) grundsätzlich nicht drittschützend (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2017 – 9 CS 17.345 – juris Rn. 16 m.w.N.). Ob eine solche Festsetzung auch darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab (vgl. BVerwG, B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5 und B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14). Maßgebend ist, ob die Festsetzung nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen worden ist oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2014 – 9 CS 14.84 – juris Rn. 17; B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11; OVG RhPf, B.v. 1.8.2016 – 8 A 10264/16 – juris Rn. 6). Anhaltspunkte für einen Nachbarschutz vermittelnde Festsetzung können sich aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde ergeben. Günstige Auswirkungen einer Festsetzung auf die Nachbargrundstücke reichen zur Annahme eines Nachbarschutzes aber nicht aus (vgl. BayVGH, B.v. 19.11.2015 – 1 CS 15.2108 – juris Rn. 8). Letztlich ausschlaggebend ist jedoch eine wertende Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs (vgl. BayVGH, B.v. 18.12.2017 – 9 CS 17.345 – juris Rn. 16 m.w.N.).
Danach sprechen hier, entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beigeladenen, die Festsetzungen zu Mindestgrenzabständen im Bebauungsplan Nr. 3/16 der Antragsgegnerin eher für einen Drittschutz. Denn der Bebauungsplan sieht gerade auch angesichts unterschiedlicher Abstände zu den einzelnen Straßen im Plangebiet jeweils ausdrücklich eine gleichmäßige, hälftige Verteilung der festgesetzten Mindestgrenzabstände auf die Nachbargrundstücke vor und begründet damit eine gleichmäßige Lastenverteilung zwischen den Grundstücksnachbarn. Zwar sollten die bereits festgelegten Grenzabstände bebauter Grundstücke nicht geändert werden (vgl. ergänzende Begründung vom 25.11.1985), daraus ergibt sich aber nur, dass die Antragsgegnerin den bebauten Grundstücken insoweit Bestandsschutz gewähren wollte, nicht aber, dass die gleichmäßige Lastenverteilung zwischen den Grundstücksnachbarn in Form eines Austauschverhältnisses aufgegeben werden sollte, zumal der Bebauungsplan auch ausdrücklich darauf abstellt, dass die beteiligten Grundstücksbesitzer untereinander anderweitige Übereinkommen treffen können. In der Gesamtschau steht somit eher das nachbarliche Austauschverhältnis im Vordergrund als rein städtebauliche Vorstellungen, weil in letzterem Fall Regelungen zur hälftigen Verteilung oder abweichendere Übereinkommen in dieser Form nicht erforderlich wären oder den städtebaulichen Vorstellungen sogar entgegenstehen könnten. Dass die Mindestgrenzabstände in Teilen des Bebauungsplans und Teilen der Baugebiete unterschiedlich sind, steht dem nicht entgegen (vgl. HambOVG, B.v. 25.6.2019 – 2 Bs 100/19 – juris Rn. 31, 53), da jedenfalls die gleichmäßige Verteilung oder einvernehmliche Abweichung der beteiligten Nachbarn einheitlich gilt.
Offenbleiben kann, ob die Mindestgrenzabstände nur für Hauptgebäude gelten (vgl. § 23 Abs. 5 Satz 1 BauNVO). Aufgrund der konkreten Ausgestaltung dürfte die Poolanlage hier vielmehr als Bestandteil des Hauptgebäudes anzusehen sein (vgl. BVerwG, B.v. 14.2.1994 – 4 B 18.94 – juris Rn. 6). Denn die Poolanlage vermittelt sowohl in ihrer baulichen Ausführung auf Erdgeschossebene des in den Hang gebauten Gebäudes, was zu einer erheblichen Erhöhung des Gebäudes im hangabwärts gelegenen Bereich führt, als auch in ihrer unmittelbaren An- und Verbindung zum Hauptgebäude mit über das Untergeschoss zugänglichem Technikraum und Terrasse den Eindruck der Zusammengehörigkeit und Unselbständigkeit. Die gesamte Poolanlage wird entsprechend der vorliegenden Lagepläne und Ansichten gerade auch aufgrund der baulichen Ausführung als Teil des Hauptgebäudes wahrgenommen.
Im Hinblick darauf, dass die Festsetzung der Mindestgrenzabstände nach dem Bebauungsplan Nr. 3/16 der Antragsgegnerin drittschützenden Charakter haben und die Antragsgegnerin zum klägerischen Grundstück hin hiervon keine Befreiung erteilt hat, führt bereits dieser Fehler zum Erfolg der Klage. Denn bei nachbarschützenden Festsetzungen führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.2017 – 9 CS 17.1987 – juris Rn. 35; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 33; BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5). Auf die Frage, ob die Aufschüttungen am Pool gebäudeähnliche Wirkung haben, das Gebot der Rücksichtnahme durch Einsichtnahmemöglichkeiten oder eine erdrückende Wirkung aufgrund der konkreten Ausgestaltung des Hochpools mit Terrasse verletzt ist oder sich die Antragsteller auf einen Gebietsprägungsanspruch berufen können, kommt es damit nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 und 2 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben