Medizinrecht

einstweiliger Rechtschutz, fehlerhafte Bestimmung des Antragsgegners, Feststellungsklage in der Hauptsache gegen den Normgeber, Verkürzung des Genesenenstatus von 6 auf 3 Monate

Aktenzeichen  Au 9 E 22.378

Datum:
17.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6523
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV §§ 4, 5 der 15.
§ 2 Nr. 5 SchAusnahmV i.d.F. 8. Mai 2021 (BAnz AD 8.5.2021 V1)
§ 2 Nr. 5 SchAusnahmV i.d.F. 14. Januar 2022 (BAnz AD 14.1.2022 V1)

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtschutzes die Feststellung, dass § 2 Nr. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterung und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung – SchAusnahmV) in der Fassung vom 14. Januar 2022 für den Antragsteller nicht gilt.
Am 26. November 2021 wurde beim Antragsteller eine Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus mittels PCR-Test nachgewiesen.
Für den Antragsteller liegt ein elektronisches Genesenenzertifikat vor, das eine Gültigkeit vom 24. Dezember 2021 bis zum 25. Mai 2022 vor ausweist.
Die 15. BayIfSMV vom 23. November 2021 (BayMBl. Nr. 816), zuletzt geändert durch Verordnung vom 8. Februar 2022 (BayMBl. Nr. 89), macht den Zugang zu großen Teilen des öffentlichen Lebens in § 4 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 1 unter anderem von dem Status einer Person als genesen abhängig. Zur Definition des Genesenenstatus wird dabei auf die Bestimmung des § 2 Nr. 4 der Schutzmaßnahmenausnahmeverordnung der Bundesregierung (BAnz AT 14.1.2022 V1) Bezug genommen.
Mit dem vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 (BGBl. 2021 I Nr. 18, S. 802) wurde § 28c in das Infektionsschutzgesetz (IfSG) eingefügt, wonach die Bundesregierung zum Erlass einer Rechtsverordnung für besondere Regelungen, insbesondere für Personen, bei denen von einer Immunisierung gegen das Coronavirus auszugehen ist, ermächtigt wurde.
Die auf Grundlage von § 28c IfSG ergangene Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmeverordnung – SchAusnahmV) vom 8. Mai 2021 (BAnz AT 8.5.2021 V1) enthielt bezüglich des Genesenenstatus folgenden Wortlaut:
㤠2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnung ist (…)
4. eine genesene Person eine asymptomatische Person, die im Besitz eines auf sie ausgestellten Genesenennachweises ist,
5. ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens einer vorherigen Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn die zugrundeliegende Testung durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR), PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt ist und mindestens 28 Tage sowie maximal sechs Monate zurückliegt“.
Mit Art. 1 Nr. 1 b) der Verordnung zur Änderung der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung (Änderungsverordnung) vom 14. Januar 2022 (BAnz AT 14.1.2022 V1) wurde § 2 Nr. 5 der SchAusnahmV vom 8. Mai 2021 wie folgt geändert:
㤠2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnung ist (…)
5. ein Genesenennachweis ein Nachweis hinsichtlich des Vorliegens eines durch vorherige Infektion erworbenen Immunschutzes gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 in deutscher, englischer, französischer, italienischer oder spanischer Sprache in verkörperter oder digitaler Form, wenn der Nachweis den vom Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse www.rki.de/covid-19-genesenennachweis unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft veröffentlichten Vorgaben hinsichtlich folgender Kriterien entspricht:
a) Art der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion,
b) Zeit, die nach der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion vergangen sein muss, oder Nachweis zur Aufhebung der aufgrund der vorherigen Infektion erfolgten Absonderung,
c) Zeit, die die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion höchstens zurückliegen darf“.
Mit Stand vom 3. Februar 2022 lauten die Vorgaben für Genesenennachweise des Robert Koch-Instituts wie folgt:
„Ein Genesenennachweis im Sinne der COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung und der Coronavirus-Einreiseverordnung muss aus fachlicher Sicht folgenden Vorgaben entsprechen:
a) die Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion muss durch eine Labordiagnostik mittels Nukleinsäurenachweis (PCR, PoC-PCR oder weitere Methoden der Nukleinsäureamplifikationstechnik) erfolgt sein
UND
b) das Datum der Abnahme des positiven Tests muss mindestens 28 Tage zurückliegen
UND
c) das Datum der Abnahme des positiven Tests darf höchstens 90 Tage zurückliegen.“
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2022 hat der Antragsteller im Wege vorläufigen Rechtschutzes beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg beantragt,
Es wird festgestellt, dass § 2 Nr. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 (Covid-19-Schutznahmenausnahmenverordnung – SchAusnahmV) in der Fassung vom 14. Januar 2022 für den Antragsteller nicht gilt.“
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei zulässig und begründet. Der Antragsteller habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 und die damit verbundene Verkürzung der Geltung des Genesenennachweises auf drei Monate für ihn nicht gelte. Die Subsidiarität des vorläufigen Feststellungsantrags gegenüber einem Verpflichtungs- oder Leistungsantrag stehe dem Feststellungsbegehren des Antragstellers nicht entgegen. Gleiches gelte für das Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts. Bei der Ausstellung eines Genesenennachweises handele es sich um einen Verwaltungsakt mit dem Regelungsausspruch, der Antragsteller könne die an diesen Status geknüpften Vergünstigungen in Anspruch nehmen. Es bestehe auch ein Anordnungsgrund und dieser sei hinreichend glaubhaft gemacht. Der Genesenennachweis sei nach derzeit geltender Rechtslage einziges Surrogat zum Impfnachweis und Voraussetzung für die Teilnahme der Einzelnen am gesellschaftlichen und sozialen Leben in vielen Bereichen. Auch einen Anordnungsanspruch habe der Antragsteller glaubhaft gemacht. Der Antragsgegner habe die Dauer des Genesenenstatus des Antragstellers fehlerhaft bestimmt. Die Verkürzung des Genesenenstatus auf drei Monate durch das Robert-Koch-Institut (RKI) auf der Grundlage des SchAusnahmV sei verfassungswidrig. Insbesondere verstoße die dynamische Verweisung auf der Internetseite des RKI gegen das Verkündungsgebot.
Auf den weiteren Vortrag im Antragsschriftsatz vom 15. Februar 2022 wird ergänzend verwiesen.
Der Antrag wurde dem Antragsgegner zugeleitet. Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit wurde auf eine Stellungnahme verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.
I. Der Antrag ist zulässig.
1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO statthaft. Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass er im Sinne der §§ 4 und 5 der 15. BayIfSMV unter Zugrundelegung der Regelung des § 2 Nr. 4 und 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8. Mai 2021 (weiterhin) über die Dauer von drei Monaten hinaus bis maximal sechs Monate nach der positiven Testung auf die Infektion mit dem Coronavirus, d.h. bis einschließlich 25. Mai 2022, als genesen gilt. Das Anliegen des Antragstellers ist im Hauptsacheverfahren mit einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO zu verfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz für derartige Feststellungsbegehren ist im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. VG München, B.v. 21.5.2021 – M 28 E 20.1922 – juris Rn. 14 m.w.N.).
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da er rechtsfehlerhaft gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt, Gesundheitsamt, gerichtet ist.
a) Die vom Antragsteller begehrte Feststellung über das Bestehen oder die Dauer des Genesenenstatus darf keines behördlichen Vollzugs- oder Umsetzungsaktes. Dieser ergibt sich vielmehr unmittelbar aus §§ 4 und 5 der 15. BayIfSMV i.V.m. § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV. Wird aber Rechtsschutz mittelbar gegen eine Rechtsverordnung des Bundes oder des Landes mit der Behauptung begehrt, der unmittelbar wirkende Normbefehl bestehe deshalb nicht, weil die betreffenden Verordnungsbestimmungen wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht ungültig oder unanwendbar seien, besteht das streitige Rechtsverhältnis ausschließlich zum jeweiligen Normgeber, nicht jedoch zu den „Vollzugsbehörden“ des Landes (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 – 1 BvR 541/02 – juris Rn. 50ff.; BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19.09 – juris Rn. 30; BayVGH, B.v. 7.2.2022 – 20 CE 22.226 – noch nicht veröffentlicht, Rn. 5; VGH BW, U.v. 25.10.2006 – 10 S 1538/05 – juris Leitsatz Nr. 2). Damit fehlt es aber bereits an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis des Antragstellers zu dem von ihm bestimmten Antragsgegner.
b) Unter Zurückstellung der Bedenken, dass es sich vorliegend um einen anwaltlich gestellten Schriftsatz handelt, ist dem Gericht eine Auslegung gemäß §§ 122, 88 VwGO verwehrt, dass der Antrag gegen den Freistaat Bayern – Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege – als Normgeber der 15. BayIfSMV hätte gerichtet werden sollen. Denn das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg wäre für einen so verstandenen Antrag örtlich unzuständig. Da es sich in der Sache um ein Feststellungsbegehren handelt, ist für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte § 52 Nr. 5 VwGO maßgeblich, wonach das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte bzw. Antragsgegner seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat, oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte. Insoweit wäre ein Antrag, der gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, gerichtet ist, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München zu erheben.
Sofern sich der Antragsteller gegen die Bestimmungen in § 2 Nr. 4 und 5 der SchAusnahmV wendet, wäre ein entsprechender Antrag im Eilrechtsschutz beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Berlin zu erheben, da es sich bei der SchAusnahmV um eine Rechtsverordnung der Bundesregierung handelt.
3. Nach allem war der Antrag daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Von einer Reduzierung des Streitwerts (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 – BayVBl Sonderbeilage Januar 2014) wurde in Anbetracht der geltend gemachten Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen.


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