Baurecht

Einzuhaltende Abstandsfläche eines Balkons

Aktenzeichen  1 ZB 13.2641

Datum:
3.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 45998
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 I
BayBO Art. 6 I 3, VIII Nr. 2, 59
BauNVO § 23 V 2

 

Leitsatz

Stehen die Gebäude in der für die Beurteilung maßgeblichen Umgebung teilweise auf der seitlichen Grundstücksgrenze und halten sie teilweise einen Abstand von der Grundstücksgrenze ein, dann darf aus planungsrechtlichen Gründen sowohl ohne Abstandsflächen an der Grenze als auch mit einem nach Abstandsflächenrecht zu bestimmenden Abstand von dieser Grenze gebaut werden, sofern das Vorhaben sich nach der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 K 13.398 2013-10-17 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf insgesamt 7.500 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris). Das ist nicht der Fall.
Die Kläger wenden sich als Grundstücksnachbarn gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 18. Juni 2012 für eine Fassadenänderung und die Errichtung eines Stahlbalkons im ersten Obergeschoss an dem grenzständigen Gebäude auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung F., nachdem zuvor ein Rechtsstreit des Beigeladenen gegen die von der Beklagten zuvor verfügte Beseitigungsanordnung betreffend den bereits errichteten Balkonanbau nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des Balkons übereinstimmend für erledigt erklärt wurde.
Das Verwaltungsgericht hat – zutreffend – die Klage abgewiesen, die darauf gerichtet war, die im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 BayBO erteilte Baugenehmigung aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, gegen den Balkon einzuschreiten. Die Kläger werden durch die angegriffene Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt. Eine Verletzung von Normen, die dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt sind, ist nicht ersichtlich.
1.1 Dem Balkonanbau steht Abstandsflächenrecht nicht entgegen. Im Hinblick auf die in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO getroffene Regelung ist vor dem um 2 m vor die südliche Gebäudefront angebauten Balkon mit Brand- und Sichtschutzwand zum Nachbargrundstück der Kläger keine Abstandsfläche einzuhalten. Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Planungsrechtliche Vorschrift ist im vorliegenden Fall § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, weil das Vorhaben des Beigeladenen im unbeplanten Innenbereich ausgeführt wurde. Stehen die Gebäude in der für die Beurteilung maßgeblichen Umgebung unbestritten – wie hier – teilweise auf der seitlichen Grundstücksgrenze und halten sie teilweise einen Abstand von der Grundstücksgrenze ein, dann darf aus planungsrechtlichen Gründen sowohl ohne Abstandsflächen an der Grenze als auch mit einem nach Abstandsflächenrecht zu bestimmenden Abstand von dieser Grenze gebaut werden, sofern das Vorhaben sich nach der Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (vgl. BVerwG, B. v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008 mit Ausführungen zur anderslautenden Regelung in § 8 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 der Landesbauordnung Rheinland-Pfalz, wonach Abstandsflächen nicht erforderlich sind, wenn das Gebäude nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss; BayVGH, B. v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 26).
1.2 Die Kläger können im Ergebnis auch nicht mit ihrem weiteren Vortrag durchdringen, der Beigeladene habe die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beachtenden überbaubaren Grundstücksflächen überschritten. Sie verkennen dabei, dass für die Bestimmung einer faktischen Baugrenze ausweislich der vorliegenden Unterlagen auch das östlich des Grundstücks der Kläger gelegene Grundstück FlNr. …, Gemarkung F., in den Blick zu nehmen ist. Die auf diesem Grundstück vorhandene Grenzbebauung reicht im südlichen Bereich ersichtlich näher an die Amper heran als die Grenzbebauung des Beigeladenen, so dass sich die (fortgesetzte) Grenzbebauung in Gestalt des Balkonanbaus auf dem Grundstück des Beigeladenen im Rahmen der näheren Umgebung hält.
1.3 Ausweislich der zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat der Balkonanbau auch weder eine unzumutbare „abriegelnde“ oder „erdrückende“ Wirkung, noch sind sonstige unzumutbare Beeinträchtigungen im Hinblick auf das Grundstück der Kläger ersichtlich, die zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme im Hinblick auf die überbaubare Fläche und die Bauweise führen könnten.
1.4 Da somit eine Abweichung – unabhängig von deren Beantragung bzw. von dem Zeitpunkt der Beantragung – nicht erforderlich war und damit ins Leere gehen würde, war über den Antrag auf Abweichung in der Baugenehmigung auch nicht zu entscheiden. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass es auf die weiteren von den Klägern aufgeworfenen Fragen, insbesondere ob das Fehlen einer Begründung zu einer erteilten Abweichung einen totalen Ermessensausfall darstelle und ob der Balkon die nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BauNVO i. V. m. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO vorgegebenen Maße erheblich überschreite, nicht entscheidungserheblich ankommt.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine im Zulassungsantrag formulierte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus relevant ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B. v. 30.3.2005 – NVwZ 2005, 709; B. v. 9.6.1999 – NVwZ 1999, 1231). Die von den Klägern als grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob seit der Novelle 2009 zur Bayer. Bauordnung eine Baugenehmigung schon deshalb „rechtsnichtig“ sei, weil die Verwaltungsbehörde eine ausdrücklich vom Bauherrn beantragte Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften im Bescheid nicht behandelt habe, ist aus den unter 1. genannten Gründen nicht entscheidungserheblich.
3. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil er im Wesentlichen nur hinsichtlich der bisherigen zivil- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren ausgeführt und die Vorgehensweise der Kläger beanstandet hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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