Medizinrecht

Coronavirus, SARS-CoV-2, Einreise, Popularklage, Aufhebung, Wohnsitz, Anordnung, Verwaltungsgerichtshof, Anfechtung, Verfahren, Verletzung, Geltungsdauer, Bundesgebiet, Schmerzen, Ausbildung, Normenkontrollverfahren, einstweiligen Anordnung, Bundesrepublik Deutschland, Erlass einer einstweiligen Anordnung

Aktenzeichen  Vf. 97-VII-20

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 35380
Gerichtsart:
VerfGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verfassungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässige Popularklage gegen den am November 2020 in Kraft getretenen und am 24. November 2020 durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorläufig außer Vollzug gesetzten § 4 Abs. 1 EQV (Testpflicht für „Grenzgänger“).

Tenor

1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Der Antragstellerin sind die durch das Popularklageverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zur Hälfte aus der Staatskasse zu erstatten.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt mit ihrer am 12. November 2020 erhobenen Popularklage die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 der vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege erlassenen Verordnung über Quarantänemaßnahmen für Einreisende zur Bekämpfung des Coronavirus (Einreise-Quarantäneverordnung – EQV) vom 5. November 2020 (BayMBl Nr. 630, BayRS 2126-1-6-G), die zuletzt durch § 2 der Verordnung vom 5. Mai 2021 (BayMBl Nr. 307) geändert und durch § 1 der Verordnung vom 14. Mai 2021 (BayMBl Nr. 336) aufgehoben worden ist.
Die angegriffene Bestimmung betraf die wöchentliche Testpflicht für sogenannte „Grenzgänger“ auf das Coronavirus SARS-CoV-2. Sie hatte zur Zeit der Popularklageerhebung folgenden Wortlaut:
§ 4 Grenzgänger
(1) 1Grenzgänger im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b sind verpflichtet, sich unaufgefordert regelmäßig in jeder Kalenderwoche auf das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 testen zu lassen und das Testergebnis der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde oder einer von ihr beauftragten Stelle auf Verlangen unverzüglich vorzulegen. 2Das Testergebnis nach Satz 1 muss jeweils
1. in deutscher, englischer oder französischer Sprache verfasst sein und
2. sich auf eine molekularbiologische Testung stützen, die
a) in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem sonstigen Staat, den das Robert Koch-Institut in eine Liste von Staaten mit hierfür ausreichendem Qualitätsstandard (Fussnote:(Amtl. Anmerkung: Vgl. https://www.rki.de/covid-19-tests)) aufgenommen hat, durchgeführt worden ist und b) innerhalb der in Satz 1 genannten Zeiträume oder höchstens 48 Stunden vor deren Beginn erfolgte.
3Das negative Testergebnis nach Satz 1 ist jeweils für mindestens 14 Tage nach der Einreise aufzubewahren.
Dem Testergebnis nach Satz 2 steht eine Bestätigung der testenden Stelle in deutscher, englischer oder französischer Sprache über eine negative Testung durch einen CE-zertifizierten und zugelassenen Antigenschnelltest gleich.  (Fussnote:(3Die mit § 4 Abs. 1 EQV im Zusammenhang stehenden Regelungen lauteten zu dieser Zeit auszugsweise wie folgt:))Die Verpflichtung nach Satz 1 entfällt für Kalenderwochen, in denen keine Einreise in den Freistaat Bayern erfolgt.
(2) …
§ 1 Häusliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende; Beobachtung
(1)  (Fussnote:(§ 1 Abs. 1 Satz 1 gilt nicht für Personen, die nur zur Durchreise in den Freistaat Bayern einreisen und ihn auf unmittelbarem Weg unverzüglich wieder verlassen.))Personen, die in den Freistaat Bayern einreisen und sich innerhalb von zehn Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet nach Abs. 5 aufgehalten haben, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Wohnung oder eine andere geeignete, eine Absonderung ermöglichende Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von zehn Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern. …
(5) 1Risikogebiet im Sinne des Abs. 1 ist ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für welche zum Zeitpunkt der Einreise nach Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht.  (Fussnote:(Von § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfasst sind Personen,1.die sich im Rahmen des Grenzverkehrs mit Nachbarstaaten weniger als 24 Stunden in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 aufgehalten haben oder für bis zu 24 Stunden in das Bundesgebiet einreisen,2.…3.a) die im Freistaat Bayern ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder Ausbildung an ihre Berufsausübungs-, Studien- oder Ausbildungsstätte in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzpendler), oder))Maßgeblich ist die jeweils aktuelle Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) über die Einstufung als Risikogebiet2.
2Amtl. Anmerkung: Vgl. https://www.rki.de/covid-19-risikogebiete
§ 2 Ausnahmen von der häuslichen Quarantäne
b) die in einem Risikogebiet nach § 1 Abs. 5 ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung in den Freistaat Bayern begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzgänger),
wobei die zwingende Notwendigkeit durch den Arbeitgeber, Auftraggeber oder die Bildungseinrichtung zu bescheinigen ist,
§ 5 Bußgeldvorschrift
Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 des IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
7. sich entgegen § 4 Abs. 1 nicht fristgerecht einer Testung unterzieht, das Testergebnis auf Verlangen nicht unverzüglich vorlegt oder entgegen
§ 4 Abs. 2 nicht unverzüglich informiert.
§ 6
Inkrafttreten, Außerkrafttreten
1Diese Verordnung tritt am 9. November 2020 in Kraft und mit Ablauf des 30. November 2020 außer Kraft. …
Im Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 4 Abs. 1 EQV am 9. November 2020 waren nach der Veröffentlichung des Robert Koch-Instituts (RKI) (vgl. „Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete“, www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Transport/Archiv_Risikogebiete/DE-Tab.html, Stand: 6.11.2020) als Risikogebiete unter anderem die an Bayern grenzenden Staaten Tschechien sowie Österreich mit Ausnahme der Gemeinden Jungholz und Mittelberg/Kleinwalsertal ausgewiesen.
Mit Beschluss vom 24. November 2020 Az. 20 NE 20.2605 (juris) setzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf den Normenkontrolleilantrag österreichischer Staatsbürger hin die angegriffene Bestimmung vorläufig außer Vollzug. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus: Nach summarischer Prüfung sei § 4 Abs. 1 EQV voraussichtlich unwirksam. Es sei bereits fraglich, auf welche Rechtsgrundlage die Testpflicht für sogenannte Grenzgänger nach § 4 Abs. 1 EQV gestützt werden könne und bereits deswegen dürfte sich § 4 Abs. 1 EQV in einem Hauptsacheverfahren als unwirksam erweisen. Zudem könne sich die wöchentliche Testpflicht für Grenzgänger im Ergebnis als unverhältnismäßig erweisen. Der weitere Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren lasse Nachteile befürchten, die unter Berücksichtigung der Belange der Antragsteller, betroffener Dritter und der Allgemeinheit so gewichtig seien, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für die Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar sei. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 Az. 20 N 20.2606 stellte der Bayerische Verwaltungsgerichthof in der Normenkontrollhauptsache das Verfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen der dortigen Beteiligten ein.
Bereits am 29. November 2020 hatte das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung (BayMBl Nr. 681, BayRS 2126-1-6-G) deren Geltungsdauer bis 20. Dezember 2020 verlängert und zugleich durch § 2 Nrn. 4 und 5 Buchst. d mit Wirkung zum 1. Dezember 2020 die §§ 4 und 5 Nr. 7 EQV aufgehoben. In der Begründung der Änderungsverordnung (BayMBl Nr. 682 S. 3) ist ausgeführt, mit der Aufhebung des § 4 EQV werde der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020 Az. 20 NE 20.2605 nachvollzogen. Entsprechende Regelungen über eine Testpflicht von Grenzgängern wurden seitdem nicht mehr erlassen. Durch die Verordnung zur Aufhebung der Einreise-Quarantäneverordnung vom 14. Mai 2021 (BayMBl Nr. 336) wurde die Einreise-Quarantäneverordnung vom 5. November 2020 insgesamt aufgehoben. II.
Die Antragstellerin ist ein mittelständisches Unternehmen, deren Arbeitnehmer ihren Wohnort teilweise in Österreich und ihren Arbeitsplatz in Bayern haben oder umgekehrt. Sie rügt mit ihrer Popularklage, § 4 Abs. 1 EQV verletze die Grundrechte aus Art. 118 Abs. 1 BV (Gleichheitssatz), Art. 101 i. V. m. Art. 99 Satz 1 und Art. 100 BV (körperliche Unversehrtheit) sowie Art. 101 BV (Berufsfreiheit).
1. Die Popularklage sei trotz des Außerkrafttretens dieser Regelung zulässig. Andernfalls könne der Normgeber rechtswidrige Vorschriften zügig durch neue Regelungen ersetzen, um gerichtlichen Verfahren den Boden zu entziehen. Dies würde zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen. Zudem würden nach Medienberichten (vom Februar 2021) einreisewillige Personen aus Risikogebieten an der Einreise nach Bayern gehindert, wofür es keine Rechtsgrundlage gebe.
2. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz sei verletzt, weil § 4 Abs. 1 EQV ohne ausreichende Rechtfertigung eine ungleiche Behandlung von verschiedenen Personengruppen vorsehe. Von der Testpflicht erfasst seien nur sog. Grenzgänger, die zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung aus dem Ausland nach Bayern „pendelten“. Nicht erfasst seien hingegen sog. Grenzpendler, die in Bayern wohnten, aber im Ausland arbeiteten, sowie Personen, die aus einem innerhalb Bayerns gelegenen Risikogebiet in einen anderen Teil Bayerns oder in ein anderes Bundesland reisten. Ebenso seien nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EQV Personen von der Testpflicht ausgenommen, die sich weniger als 24 Stunden aus nichtberuflichen Gründen in einem Risikogebiet im Ausland aufgehalten hätten. Damit werde wesentlich Gleiches unterschiedlich behandelt. Indirekt würden Personen mit Wohnsitz im Ausland gegenüber Personen mit Wohnsitz im Inland benachteiligt. Es liege eine Wohnsitzdiskriminierung vor. Die Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt. Der Wohnsitz und die bloße Unterscheidung zwischen In- und Ausland sowie Risiko- und Nichtrisikogebiet sei kein tauglicher Anknüpfungspunkt für die Testpflicht, weil nicht auf Inzidenzzahlen abgestellt werde. Die Testpflicht greife auch bei Einreise aus einem risikobehafteten ausländischen Gebiet, in dem die Inzidenzzahl niedriger liege als in Bayern. Zudem würden sich die meisten Infektionen nicht am Wohnort, sondern bei anderen Begebenheiten des täglichen Lebens ereignen. Die Ungleichbehandlung könne auch deswegen nicht gerechtfertigt sein, weil § 4 Abs. 1 EQV dem EU-Recht widerspreche. Die Regelung beeinträchtige die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1, 3 Buchst. b AEUV) und das Niederlassungsrecht der Unionsbürger (Art. 49 Abs. 1 Satz 1 AEUV). Zudem liege eine indirekte Ausländerdiskriminierung in Form der Wohnsitzdiskriminierung und damit ein Verstoß gegen das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 18 AEUV vor. Im Übrigen sei die Regelung unverhältnismäßig, da bereits mit der allgemeinen Maskenpflicht im Freistaat Bayern für ausreichende Sicherheit gesorgt sei.
3. Die Testpflicht verletze das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das Einführen des Teststäbchens in Rachen und Nase stelle einen Eingriff dar, weil es mit unangenehmen Empfindungen bis hin zu Schmerzen verbunden sei. Insbesondere im Rachenbereich könne es zu einem Würgereflex kommen. Die Anordnung von Tests möge zwar aus Gründen des allgemeinen Gesundheitsschutzes und der Pandemieprävention gerechtfertigt sein. Es sei aber nicht ersichtlich, dass die massenhafte Testung von Berufspendlern hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten könne. Der Grenzübertritt sei kein Kriterium, das eine erhöhte Infektionsgefahr indiziere.
4. Ebenso sei das Grundrecht der Berufsfreiheit verletzt. Bei § 4 Abs. 1 EQV handle es sich um eine Norm mit berufsregelnder Tendenz, da die Testpflicht an die Ausübung eines Berufs unter der zusätzlichen Voraussetzung eines Grenzübertritts anknüpfe. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass die Einschränkung von berufsbezogenen Grenzübertritten einen wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten könne.
5. Die Antragstellerin hat ihre Popularklage mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden. Dem Hinweis des Verfassungsgerichtshofs vom 25. November 2020, dass sich durch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020, mit dem die angegriffene Rechtsvorschrift vorläufig außer Vollzug gesetzt wurde, der Eilantrag im verfassungsgerichtlichen Verfahren erledigt habe, ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten.
III.
1. Die Bayerische Staatsregierung hält die Popularklage in ihrer Stellungnahme vom 19. Januar 2021 für unzulässig, da die angegriffene Rechtsvorschrift außer Kraft getreten sei. Dass die Vorschrift noch rechtliche Wirkungen entfalten könne, habe die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Ein objektives Interesse an der verfassungsgerichtlichen Überprüfung bestehe nicht deshalb, weil wegen Verstößen gegen § 4 Abs. 1 EQV möglicherweise noch Bußgeldverfahren anhängig seien. Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit prüften bei Anfechtung von Bußgeldentscheidungen inzident das Vorhandensein einer Rechtsgrundlage für die Ahndung eines Verhaltens als Ordnungswidrigkeit. Da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die angegriffene Vorschrift vorläufig außer Vollzug gesetzt habe und die Entscheidung entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO allgemeinverbindlich sei, müssten Betroffene in entsprechenden Verfahren freigesprochen werden, hilfsweise müssten die Verfahren eingestellt werden. Schon bestandskräftige Bußgeldentscheidungen dürften nicht mehr vollstreckt werden.
Im Übrigen sei die Popularklage unbegründet. Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip liege nicht vor. § 4 Abs. 1 EQV habe in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1, §§ 29, 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG in der damals geltenden Fassung eine geeignete Ermächtigungsgrundlage. Ein offenkundiger, besonders krasser Widerspruch des § 4 Abs. 1 EQV zum Unionsrecht, durch den das Rechtsstaatsprinzip allenfalls verletzt sein könne, liege nicht vor, weil mögliche Eingriffe in die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit und das Diskriminierungsverbot aus Gründen des öffentlichen Gesundheitsschutzes gerechtfertigt gewesen seien.
Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots nach Art. 118 Abs. 1 BV sei nicht erkennbar. Die Ungleichbehandlung zwischen in Bayern lebenden Grenzpendlern, die keiner Testpflicht unterlägen, und Grenzgängern, für die eine wöchentliche Testpflicht angeordnet worden sei, sei aufgrund der unterschiedlichen 7-Tage-Inzidenzwerte in Bayern und seinen Anrainerstaaten gerechtfertigt gewesen. Diese hätten etwa am 17. November 2020 in Österreich 553,7 und in Tschechien 417,7 betragen und seien damit deutlich höher gewesen als in Deutschland mit 153,9 und in Bayern mit 184,2. Die Wahrscheinlichkeit, dass Grenzgänger aufgrund ihres regelmäßigen Aufenthalts in einem ausländischen Risikogebiet mit höheren Infektionszahlen mögliche Infektionen nach Bayern eintrügen, sei mithin vielfach größer gewesen. Von Grenzgängern sei ein höheres Infektionsrisiko ausgegangen als von Grenzpendlern, weil sie sich typischerweise überwiegend im ausländischen Risikogebiet aufhielten. Dort hätten sie ihren Wohnsitz, träfen auf ihr familiäres und soziales Umfeld und pflegten Kontakte und Beziehungen, auf deren Kontrolle Bayern keinen Einfluss habe. Auch der 24-Stunden-Ausnahme nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 EQV liege der Gedanke zugrunde, dass ein kürzerer Aufenthalt im Risikogebiet mit einer geringeren Infektionswahrscheinlichkeit einhergehe. Von einer Ausweitung der regelmäßigen Testpflicht auch auf Grenzpendler habe der Verordnungsgeber auch deshalb absehen dürfen, weil die verfügbaren Testkapazitäten beschränkt gewesen seien.
Eine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 101 i. V. m. Art. 100 BV) liege ebenfalls nicht vor. Es sei bereits fraglich, ob infolge der Geringfügigkeit von Schutzgutbeeinträchtigungen überhaupt ein Eingriff bejaht werden könne. Jedenfalls sei ein solcher gerechtfertigt gewesen, weil dem Staat die Pflicht obliege, seine Bürger vor Gefahren für Leib und Leben zu schützen. § 4 Abs. 1 EQV habe in Umsetzung dieser staatlichen Pflicht einen legitimen Zweck verfolgt.
Eingriffe in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit seien deshalb verhältnismäßig gewesen.
Eine Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 101 BV) sei nicht erkennbar. Ob der Testpflicht eine berufsregelnde Tendenz innegewohnt habe, könne dahingestellt bleiben. Die angeordnete Testpflicht habe allenfalls eine Berufsausübungsregelung dargestellt und ein etwaiger Eingriff wäre jedenfalls verhältnismäßig und damit gerechtfertigt gewesen.
Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme vom 23. November 2020 als unbegründet angesehen.
2. Der Bayerische Landtag hat sich am Verfahren nicht beteiligt.
IV.
Die Popularklage ist unzulässig.
Für eine Entscheidung über die Popularklage fehlt das Rechtsschutzinteresse, weil die angegriffene Regelung des § 4 Abs. 1 EQV durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof am 24. November 2020 (Az. 20 NE 20.2605 – juris) vorläufig außer Vollzug gesetzt wurde und mit ihrer Aufhebung durch § 2 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung am 1. Dezember 2020 außer Kraft getreten ist.
Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives – nicht nur theoretisches – Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 29.4.1993 VerfGHE 46, 137/139; vom 25.6.2010 VerfGHE 63, 83/93 f.; vom 7.8.2012 VerfGHE 65, 143/149; vom 20.8.2019 BayVBl 2020, 306 Rn. 14 und 18 m. w. N.). Ein solches objektives Interesse besteht dann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, etwa weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 14.4.2011 VerfGHE 64, 39/44; BayVBl 2020, 306 Rn. 18 m. w. N.; vom 23.11.2020 – Vf. 59-VII-20 – juris Rn. 24; vom 26.2.2021 BayVBl 2021, 336 Rn. 28). Das kann insbesondere der Fall sein, wenn in Bußgeldverfahren, die Verstöße gegen die außer Kraft getretene Regelung zum Gegenstand haben, noch keine bestandskräftigen Entscheidungen vorliegen (vgl. VerfGHE 64, 39/44).
Dies kann bei § 4 Abs. 1 EQV nicht angenommen werden. Die Regelung war aufgrund der Außervollzugsetzung durch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020 ab dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 9. November 2020 insgesamt nur 15 Tage gültig. Denn die Außervollzugsetzung nach § 47 Abs. 6 VwGO hatte zur Folge, dass die Bestimmung mit allgemeinverbindlicher Wirkung (vgl. NdsOVG vom 29.10.2020 – 13 MN 393/20 – juris Rn. 71 m. w. N.; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 404) bereits ab dem 24. November 2020 und damit schon vor ihrer Aufhebung mit Wirkung zum 1. Dezember 2020 durch § 2 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung nicht mehr anzuwenden, also als nicht existent zu betrachten war (vgl. Schoch in Schoch/Schneider, VwGO, § 47 Rn. 185 a m. w. N.; Ziekow, a. a. O., § 47 Rn. 403). Da vor der Aufhebung des § 4 Abs. 1 EQV durch § 2 Nr. 4 der Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung im Normenkontrollverfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof keine Hauptsacheentscheidung ergangen ist, ist die vorläufige Außervollzugsetzung auch nicht vor Aufhebung der Vorschrift wirkungslos geworden (vgl. dazu Schoch, a. a. O., § 47 Rn. 184; Ziekow, a. a. O., § 47 Rn. 410). Damit bestand bereits ab dem 24. November 2020 für auf § 4 Abs. 1 EQV gestützte Rechtsanwendungsakte, wie etwa für Bußgeldbescheide auf der Grundlage von § 5 Nr. 7 EQV i. V. m. §§ 3, 4 OWiG oder für polizeiliche Anordnungen (vgl. Art. 11 Abs. 2 PAG), keine Rechtsgrundlage mehr, die Gegenstand der mit der Popularklage geltend gemachten Grundrechtsverletzungen hätte sein können.
Dass behördliche oder gerichtliche Verfahren infolge von Verstößen gegen die Testpflicht nach § 4 Abs. 1 EQV im Zeitraum vom 9. bis 24. November 2020 anhängig geworden wären, für die es auf die Feststellung der Verfassungswidrigkeit oder Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 1 EQV noch entscheidungserheblich ankäme, hat die Antragstellerin weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Im Gegenteil erscheint es angesichts der Kürze dieses Zeitraums, des von der Testpflicht betroffenen eingeschränkten Personenkreises und im Hinblick auf die Außervollzugsetzung der Vorschrift durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof fernliegend, dass einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Popularklage noch Bedeutung für behördliche oder gerichtliche Entscheidungen zukommen könnte, zumal grundsätzlich inzwischen bereits in Bestands- bzw. Rechtskraft erwachsene Rechtsanwendungsakte von einer positiven Entscheidung über die Popularklage ohnehin unberührt bleiben würden (vgl. § 183 VwGO sowie zur entsprechenden Anwendung von § 79 BVerfGG VerfGHE 46, 137/140; VerfGH vom 27.8.2018 BayVBl 2019, 46 Rn. 25). Die bloße theoretische Möglichkeit der Wiederaufnahme von Bußgeldverfahren entsprechend § 79 Abs. 1 BVerfGG (vgl. dazu BGH vom 18.2.1992 NStZ 1992, 391; HessVGH vom 30.8.1979 NJW 1980, 2723; Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 79 Rn. 39 m. w. N.) reicht zur Begründung eines objektiven Interesses an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der außer Kraft getretenen Vorschrift nicht aus.
Soweit sich die Antragstellerin auf eine unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzes beruft und geltend macht, der Verordnungsgeber könne die außer Kraft getretene Bestimmung zügig durch eine Neuregelung mit ähnlichem Inhalt ersetzen, kann darauf ein objektives Interesse an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsnorm ebenfalls nicht gestützt werden. Der Verordnungsgeber hat die Aufhebung der angegriffenen Rechtsnorm vorliegend im Hinblick auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020 vorgenommen (vgl. Begründung der Verordnung zur Änderung der Einreise-Quarantäneverordnung vom 29. November 2020, BayMBl Nr. 682 S. 3). Es kann daher nicht angenommen werden, dass er vorhatte, sogleich eine neue Regelung gleichen Inhalts zu erlassen. Im Übrigen dient das Popularklageverfahren seinem Wesen nach nicht dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte der Antragstellerin, sondern ist ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges, objektives Verfahren zum Schutz der Grundrechte gegenüber Rechtsvorschriften, von denen noch rechtliche Wirkungen ausgehen können (vgl. VerfGHE 46, 137/140; VerfGH BayVBl 2019, 46 Rn. 25; 2020, 306 Rn. 21). Die Prüfung abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs (vgl. VerfGH vom 25.5.1972 VerfGHE 25, 71/73; vom 6.12.2010 BayVBl 2011, 238/239; 2020, 306 Rn. 15).
V.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat sich durch die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020, mit dem die angegriffene Rechtsvorschrift vorläufig außer Vollzug gesetzt wurde, erledigt – worauf die Antragstellerin bereits am 25. November 2020 hingewiesen wurde.
VI.
Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).
Nach Art. 27 Abs. 5 VfGHG kann der Verfassungsgerichtshof die volle oder teilweise Erstattung von Kosten und Auslagen anordnen.
Es entspricht der Billigkeit, der Staatskasse gemäß Art. 27 Abs. 5 VfGHG zur Hälfte die notwendigen Auslagen aufzuerlegen, die der Antragstellerin durch ihre Popularklage entstanden sind. Einerseits wurde ihrem Begehren im Ergebnis entsprochen, weil die angegriffene Regelung vom Normgeber im Hinblick darauf aufgehoben wurde, dass sie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Normenkontrolleilverfahren gemäß § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug gesetzt hatte. Andererseits ist die Antragstellerin mit ihrem trotzdem weiterverfolgten Ziel, darüber hinaus eine Sachentscheidung des Verfassungsgerichtshofs zu erreichen, unterlegen.


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